Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon sagte dem Bürgermeister der neuen Partnerstadt Freiburgs, der südkoreanischen Stadt Suwon 水原, Ende August mündlich zu, in einem öffentlichen Park der Stadt eine Replik der „Trostfrauen“-Statue zu errichten, welche seit mehreren Jahren für heftige Meinungsverschiedenheiten zwischen Korea und dem benachbarten Japan sorgt. Sie sollte am 10. Dezember, dem internationalen Menschenrechtstag, eingeweiht werden. Es wäre das erste Mal innerhalb Deutschlands und Europas gewesen, daß eine solche Statue errichtet wird. Heute wurde bekannt, daß Salomon seine Zusage zurückgezogen hat — die Statue wird also doch nicht nach Freiburg kommen.
Und das ist richtig so.
Das Urbild dieser Statuen, eine jugendliche Frau mit sanftem Antlitz im traditionellen koreanischen Gewand, steht seit 2011 in Seoul, wenige Meter vor der japanischen Botschaft. Sie wurde auf private Initiative errichtet und soll an die wöchentlichen Protestaktionen vor dieser Botschaft gegen die japanische Politik erinnern, welche nach Auffassung der Unterstützer zuwenig getan hat, um an den während des Zweiten Weltkriegs von der japanischen Armee sexuell ausgebeuteten koreanischen Frauen Wiedergutmachung zu leisten. Der Streit um diese so genannten „Trostfrauen“ geht bis in die 1990er Jahre zurück. Er wurde Ende 2015 in einer Vereinbarung zwischen den Regierungen der beiden Länder formell beigelegt, indem Japan Geld für eine Stiftung bereitstellte, welche die überlebenden Frauen versorgen soll. Weiterhin erkannte die koreanische Regierung an, „daß die japanische Regierung hinsichtlich der vor der japanischen Botschaft in Südkorea befindlichen Frauenstatue unter den Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und der Wahrung der Würde besorgt ist“, und sagte zu, „durch Beratungen mit den betroffenen Vereinigungen“ eine „angemessene Lösung“ zu finden — was aus japanischer Sicht nur die Entfernung der Statue bedeuten kann.
Die Statue in Seoul steht immer noch am selben Platz, denn mit der Regierungsvereinbarung ist der Streit nicht wirklich befriedet worden: Weite Teile der südkoreanischen Zivilgesellschaft akzeptieren die mit Japan ausgehandelte Übereinkunft nicht. Sie tun dies von verschiedenen Standpunkten aus. Für die einen spielt dabei offener Nationalismus die Hauptrolle; Japan habe in seiner Rolle als kolonialer Herrscher koreanische Frauen missbraucht, dafür müsse es Buße leisten, damit Korea diese nationale Schande überwinden könne. Für diese Gruppe ist es völlig unerheblich, daß es bei weitem nicht nur Koreanerinnen waren, die in japanischen Militärbordellen litten, und die Komplizenschaft koreanischer Männer und Frauen, die Japan beim Aufbau dieses Prostitutionssystems unterstützten, ist für sie ebenfalls kein Thema. Dies sieht der von der Frauenbewegung herkommende Widerstand anders; hier geht es darum, die Opferrolle der Frauen hervorzuheben und gegen die damals wie heute wirksamen Mechanismen des Patriarchalismus und der Unterdrückung von Frauen insbesondere im Krieg anzukämpfen. Sie sprechen deshalb nicht von „Trostfrauen“, wie es der seinerzeit in Japan und Korea übliche Euphemismus wollte, sondern von „Sexsklavinnen“. Darin treffen sie sich mit Diskursen, die weit über Ostasien hinausgehen und sexuelle Gewalt gegen Frauen in vielen Kontexten anprangern. Japan tut sich schwer, die Verletzungen, die nicht nur seine Handlungen im Krieg, sondern auch sein Unterlassen nach dem Krieg bei seinen Nachbarn angerichtet haben, angemessen zu behandeln. Es beharrt darauf, sich in verschiedenen Formen seiner Verantwortung gestellt zu haben. Zu wenig und nicht aufrichtig genug, befinden viele Koreaner und verlangen nach Beistand durch die internationale Völkergemeinschaft: Was eine japanisch-koreanische Kontroverse sein sollte, wurde exportiert. Das Hauptvehikel hierfür sind Repliken der Statue in Seoul, die inzwischen in Nordamerika und Australien — meist auf Initiative dort lebender koreanischstämmiger Migranten — errichtet wurden. Koreaner wie Japaner dürften wohl darin einig sein, daß die Statuen in erster Linie dazu dienen, koreanische Frauen als Opfer japanischer Männer darzustellen. Sie sind als Anklage gedacht, durch die Japan in die moralische Defensive gedrängt werden soll.

Die „Trostfrauen“-Statue in Seoul
Daß der Oberbürgermeister von Freiburg diese Zusammenhänge nicht erkennt, ist bestürzend. Daß ein deutscher Oberbürgermeister in solchen Fragen allein entscheidet, ist ein Anachronismus. Gedenken läßt sich in Deutschland heute nicht mehr per ordre de mufti befehlen. Es kann nur als Resultat eines zivilgesellschaftlichen Aushandlungsprozesses entstehen. Dieter Salomon hätte deshalb gut daran getan, sich die Praxis anderer Kommunen anzusehen, die mit der Statuenfrage konfrontiert wurden. Neben wir den hier bereits vorgestellten Fall von Strathfield, einer multikulturellen Vorstadt von Sydney. Als dort ein „Koreanisches Komitee“ 2014 vorschlug, eine „Trostfrauen“-Statue aufzustellen, setzte die Stadt einen Berichterstatter ein, führte eine Umfrage in der Bevölkerung durch und hielt eine öffentliche Anhörung im Rathaus ab. Der Berichterstatter warnte vor einer möglichen „ethnischen Verunglimpfung“ (racial vilification) durch das Denkmal. Die Umfrage ergab eine Mehrheit gegen die Statue. Bei der Anhörung gab es Reden für und gegen den Vorschlag. Im August 2015 entschied der Stadtrat in öffentlicher Sitzung — und lehnte den Vorschlag einstimmig ab. Was für Australien gilt, sollte auch für Freiburg gelten: Was dauerhaft in den öffentlichen Raum soll, muß zuvor auch öffentlich diskutiert werden.
Der Vorwurf der „ethnischen Verunglimpfung“ wiegt schwer. In Freiburg wohnen zwar weder nennenswerte koreanische noch japanische Minderheiten. Die Stadt Freiburg besitzt jedoch nicht nur eine koreanische, sondern länger schon auch eine japanische Partnerstadt (Matsuyama). Durch das Vorgehen Salomons drohte diese Beziehung nun verletzt zu werden.
Noch schwerer wiegt freilich ein spezifisch deutscher Grund, der Salomons Versprechen zur moralischen Groteske werden läßt: Denn ausgerechnet Deutschland, das sich gern seines verantwortungsbewußten Umgangs mit den Untaten der Nazizeit rühmt, hat sich der Diskussion um die von ihm ausgegangene sexuelle Gewalt während des Zweiten Weltkriegs bislang beharrlich verschlossen. Es ist schon längst geklärt, daß es in Konzentrationslagern SS-Bordelle gab; es ist dokumentiert, wie die Wehrmacht beim Einmarsch in Paris die jüdischen Bordelle in ihre Dienste nahm; es ist kein Geheimnis, daß es an der Ostfront zu massenhaften Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten kam. Aber einen öffentlichen Diskurs darüber, ein öffentliches Eingeständnis, gar einen Versuch der Entschuldigung oder der Wiedergutmachung an den betroffenen Frauen hat es in Deutschland nie gegeben. Viel bequemer war es, Unwissen vorzuschützen und zugleich den moralischen Finger gegen die Japaner zu erheben, die seit mehr als 20 Jahren versuchen, sich dieser Diskussion zu stellen. Sie sind dabei nicht übermäßig erfolgreich und oftmals auch nicht übermäßig aufrichtig gewesen. Aber damit stehen sie in dieser Frage immer noch besser da als die deutsche Gesellschaft, der es konvenierte, das Problem für ein rein japanisches zu erklären. Deutschland hat Japan allein gelassen.
Eine Statue, die mit schlechtem Gewissen errichtet wird, kann keine heilsame Wirkung entfalten — weder in Ostasien noch in Deutschland. Die Statue gehört nicht nach Freiburg. Ihr einzig sinnvoller Ort ist Japan selbst. Doch die Japaner sind noch nicht so weit, dies zu akzeptieren. Auch mit Druck von außen und Freiburger Symbolpolitik wird man sie nicht dazu bewegen. Hier könnte Deutschland dennoch sinnvoll helfen: Indem es sich endlich seiner eigenen Verantwortung stellt und (z.B. in einer gemeinsamen historischen Kommission) mit Japan zusammen nach Versöhnung sucht, mit den Frauen, denen Unrecht geschehen ist, ihren Familien und ihren Nationen. Deutschland ist den Weg der Wiedergutmachung und Versöhnung schon so oft gegangen — nun hat es die Chance, ihn noch einmal zu gehen, gemeinsam mit einem Land, das sich auf diesem Weg verirrt hat und das sich genauso nach Frieden sehnt wie seine Opfer. Und unsere Opfer. Ein salomonisches Versprechen, seine eigene Verantwortung zu prüfen und Japan auf seinem schweren Weg zu begleiten, wäre deshalb der angemessene Beginn einer wunderbaren deutsch-koreanischen Städtefreundschaft.

Denkmal für die „Trostfrauen“ im japanischen Tateyama