Der in Deutschland geborene und während der Nazi-Zeit in die USA emigrierte Rudolf Arnheim (1904–2007) war einer der führenden Kunst- und Medientheoretiker, der seine Auffassung vom „anschaulichen Denken“ auf die Erkenntnis der Gestaltpsychologie gründete, wie er sie während seines Studiums in Berlin kennengelernt hatte. Über die Besonderheit dieses Ansatzes führte er 1983 ein Gespräch mit David A. Pariser, der später Professor für Kunsterziehung in Kanada wurde. Diese Unterhaltung wurde 1984 in der Zeitschrift Studies in Art Education veröffentlicht. Eine Passage daraus hat mich besonders beeindruckt, weil sie auf ein Problem zu sprechen kommt, das uns – und damit meine ich die akademische Welt – auch in der jetzigen Zeit schwer zu schaffen macht: Die Heftigkeit und Emotionalität, mit welcher Debatten über das Wesen der Welt geführt werden. Letztlich wird man in dem Gegensatz, den Arnheim in diesem Abschnitt beschreibt, die Grundkonstellation der heutigen Debatte um Identität wiedererkennen. Deshalb habe ich diese Stückchen ins Deutsche übersetzt und zitiere es im folgenden.

Ein weiteres Prinzip hatte mit dem Respekt vor der äußeren Welt zu tun. Damit meine ich, daß wir sehr gegen die Art von Subjektivismus-introvertiertem Ansatz waren. Unser Prinzip war, daß die Welt eine inhärente Bedeutung hat. Die Welt hat eine inhärente Ordnung, und es ist eine Notwendigkeit für uns zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Nehmen Sie das griechische Wort Kosmos;1 die Welt sollte als Kosmos betrachtet werden. Die einzige Möglichkeit, in einer solchen Welt zurechtzukommen, besteht darin, die ihr innewohnende Ordnung zu verstehen, und genau darauf konzentrieren Sie sich. Das ist einer der Gründe, warum es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und jemandem wie Ernst Gombrich kommt, denn Gombrich denkt in der Tradition einer Art Empirismus, wonach Dinge wie Gesetzmäßigkeit und Ordnung der Welt, die an sich formlos ist, vom Menschen aufgezwungen werden. …
Es ist ein Unterschied in den Epistemologien. Und man kann nicht ohne weiteres einen Unterschied in der Epistemologie haben, wenn es sich fast um eine Glaubensfrage handelt. Es ist fast religiös … Sie werden verstehen, daß es ein religiöser Unterschied ist, ob ich glaube, daß die Welt eine Ordnung hat und ich ein Teil davon bin, oder ob ich sage, daß die Welt ein Chaos ist und ich ihr eine Ordnung überstülpe, und zwar durch bloße Konvention.
Daher neigen die Kontroversen über diese Art von Dingen dazu, emotional zu werden. Man ist so sehr involviert.

David A. Pariser: A Conversation with Rudolf Arnheim. In: Studies in Art Education (Bd. 25 H. 3, S. 176–184, hier S. 178)

Das Beitragsbild heißt Die Welt huldigt Kaiser Karl VII. und befindet sich im Schloß Augustusburg in Brühl. Die Aufnahme stammt von Reinhard Zöllner.


  1. Kosmos bedeutet im Griechischen eigentlich „Ordnung“ und „Schmuck“. ↩︎