„Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, daß er ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“
(Bertolt Brecht: Wenn Herr K. einen Menschen liebte)
Es besteht kein Zweifel daran, daß Japans Kultusministerium (K.) seine Kinder liebt. Deshalb macht es ja auch viele Entwürfe.
Nachdem es viel Kritik im In- und Ausland einstecken mußte, weil es im April eine radioaktive Belastung von 3,8 uSv je Stunde im Außenbereich als Grenzwert für das Spielen auf Schul- und Kindergartenhöfen festgesetzt hatte, hat das K. nachgerechnet. Das verblüffende Ergebnis: Die damalige Annahme, bei einer solchen Strahlendosis kämen die Kinder auf 20 mSv je Jahr, sei falsch. In Wirklichkeit sei es knapp die Hälfte. Warum? Im April nahm man an, daß die Kinder täglich 8 Stunden im Freien und 16 Stunden in Gebäuden verbrächten. Falsch, heißt es nach einem Blick auf die tatsächlichen Alltagsgewohnheiten: Kinder seien (den Schulweg eingerechnet) viel weniger draußen — und deshalb reduziere sich die Gesamt-Strahlendosis auf deutlich niedrigere Werte.
D.h., das Ministerium hat nicht etwa die Grenzwerte korrigiert — sondern nur die Berechnung. Das Ministerium nimmt nun an, die Kinder würden kaum im Freien spielen. Nicht einmal im Sommer — und dies angesichts der zu erwartenden Abschaltung der Klimaanlagen wegen der drohenden Stromknappheit! Kurzum: Das Idealbild des japanischen Kultusministeriums ist der Stubenhocker, den weder Sauerstoffmangel noch Sonnenschein dazu verleiten können, draußen zu spielen.
Die Kinder, die das K. so liebt, müssen sich also nur dem Entwurf anpassen — und schon ist Radioaktivität kein Problem mehr. Glückliches Japan.