In der Ausgabe der Chugwai Eiji-Shimbun 中外英字新聞 vom 15.1.1902 (Bd. 9, Nr. 1) — laut Untertitel „a fortnightly magazine devoted to the study of practical English“ — findet sich auf S. 5 eine Rubrik, in der japanische Leser kurze selbstverfaßte englische Texte einreichen konnten. Ein englischer Muttersprachler korrigierte sie anschließend, ein japanischer Redakteur gab dann Erläuterungen zu den Korrekturen. Als Nr. 46 findet sich ein Beitrag unter dem Titel „The Japanese Empire“, der im Original wie folgt beginnt:
The Japanese Empire lies on the eastern extremity of Orient and consists of five large islands …
Der Muttersprachler korrigierte dies zu:
The Japanese Empire lies at1 the eastern extremity of Asia2 and consists of five large islands …
Die in der Fußnote Nr. 2 gegebene Begründung des japanischen Redakteurs für den Wechsel von „Orient“ zu „Asia“ ist faszinierend:
2 Orient 是は甚だ空漠たる語にして洲名に非ず。国名にも非ず。故に地の形成を叙するに当たりて。決して用うべきの語に非ず。
[Dies ist ein sehr vager Begriff, kein Name für einen Kontinent. Es ist auch nicht der Name eines Landes. Daher ist es ein Wort, das niemals für die Beschreibung der Gestalt eines Ortes verwendet werden sollte.]
Der englische Muttersprachler, der für diese Korrektur verantwortlich zeichnete, war nun allerdings nicht zufällig Walter Dening (1846–1913), ein vom christlichen Glauben abgefallener ehemaliger Missionar, der seit 1873 bis zu seinem Tode fast durchgängig in Japan lebte und in einem Nachruf der Japan Weekly Mail als „ein Mann von großer geistiger Unabhängigkeit, furchtlos, prägnant und fast schroff in Kontroversen“ gewürdigt wurde.3
Wir haben uns im Zuge der Orientalismus-Diskussion angewöhnt, alles und jeden (Weißen) unter den Verdacht zu stellen, orientalistisch zu denken. Quellenfunde wie dieser zeigen, daß Pauschalurteile höchst selten die ganze Wahrheit abbilden, weil es zu jeder Zeit auch Menschen geben dürfte, die unabhängig, furchtlos und prägnant denken. Oder, um Cicero zu paraphrasieren, summativum iudicium summa iniuria.
Anmerkungen
3 Hamish Ion: „Walter Dening (1846–1913) and Japan“. In: Britain and Japan: Biographical Portraits, Vol. VII, Leiden 2010, S. 384–401, hier S. 384.
Beitragsbild: Kaffeehaus Casa Oriental in Porto. „A Tradição Portuguesa desde 1910“. Mit kolonialer Szene.