„Yi So-yeon … ist eine südkoreanische Raumfahrerin.“ Sie sei ledig und habe keine Kinder. So steht es mit Stand von heute in der deutschsprachigen Wikipedia.
Korrekt wäre allerdings, diesen Satz in die Vergangenheitsform zu setzen: Sie war eine Raumfahrerin. Sie ist es längst nicht mehr. Und sie ist verheiratet.
Und beides hängt zusammen. Beides hängt aber auch zusammen mit Problemen, die das gegenwärtige Korea quälen.
Zunächst sah alles nach einer typischen koreanischen Erfolgsstory aus. Mehr als 36.000 Menschen bewarben sich 2006 bei der südkoreanischen Raumfahrtagentur KARI (Korea Aerospace Research Institute), um an einer zweitägigen russisch-südkoreanischen Raumfahrtmission teilzunehmen. Am Ende eines harten Auswahlprozesses, der teils in Südkorea, teils in Rußland stattfand, blieben am Weihnachtstag 2006 noch zwei Kandidaten übrig: Ko San, ein Mann, der als Forscher am Samsung Advanced Institute of Technology tätig war, und die 1978 geborene Yi So-yeon, die am Korea Advanced Institute of Science and Technology an ihrer Promotion saß. Im September 2007 wurde entschieden, daß der Mann den Vorzug bekommen sollte; nicht, weil nach konfuzianischem Brauch der Mann voranzugehen und die Frau zu folgen hat, sondern weil Ko (nicht gerade verwunderlich) als physisch stärker galt. Aber Yi wurde als Ersatzfrau weiter mit Ko zusammen ausgebildet.
Die Ausbildung war teuer. Rußland ließ sich für jeden der beiden umgerechnet rund 21 Mio. Euro bezahlen (Sprachtraining inklusive). Das war es der südkoreanischen Regierung wert, denn Südkorea wollte unbedingt in die bemannte Raumfahrt einsteigen. Geträumt wurde davon, damit den Aufstieg in die Riege der Raumfahrtnationen zu schaffen und sich u.a. an neuen internationalen Mondlandeprojekten zu beteiligen.
Nun geschah Seltsames. Ko, der Kandidat Nr. 1, der öffentlich verlautet hatte, er wolle während der Erdumrundung seiner Freundin das Jawort geben (worauf ihm jedoch bedeutet wurde, persönliche Anliegen könne man in eine solche Mission unmöglich einbauen), verstieß zweimal, wie es offiziell hieß, gegen das russische Protokoll für auszubildende Raumfahrer. Im September 2007 schickte er zusammen mit persönlichen Gegenständen auch ein Handbuch fürs Astronautentraining nach Hause. Versehentlich, wie es hieß. Im Februar 2008 lieh er sich von einem russischen Piloten ein Handbuch für Piloten, das mit seinem vorgesehenen Job im All nun wirklich nichts zu tun hatte. „Weil er persönlich wißbegierig war“, erklärte das südkoreanische Ministerium. Aber den Russen gefiel dieser Wissensdurst nicht. Und die koreanische Presse spekulierte, Ko sei dabei gar nicht seinen persönlichen Interessen gefolgt, sondern einem klaren Auftrag seiner koreanischen Sponsoren. Schließlich wollte Korea ja unbedingt an der Eroberung des Weltraums teilhaben, und dazu brauchte man Wissen.
Jedenfalls bestand Rußland nun darauf, daß Ko auf der Erde blieb. So war es doch eine Frau, eben Yi So-yeon, die (kurz nach ihrer Promotion) im April 2008 erstmals die koreanischen Farben in den Orbit trug. Für zwei Tage, an denen sie fleißig Experimente im Weltraum unternahm. Unter anderem mit Kimchi (wie hätte es auch anders sein können).
Dr. Yi kam heil zurück, trotz einer brenzligen Landung etwa 420 km abseits des vorgesehenen Landeplatzes. Auch auf der Erde arbeitete sie fleißig, nun aber als Berühmtheit, an der KARI weiter.
Bis 2012. Da verließ sie die Lust am Astronautendasein. Sie nahm Urlaub vom KARI, um ein MBA-Studium in den USA (an der UCLA, wo sonst?) zu absolvieren. Und sie lernte dort einen Augenoptiker kennen, pikanterweise koreanischer Herkunft, der ihr die Augen für die Erkenntnis öffnete, daß das Astronautenleben gar nicht ihr Lebensziel war. Sie sei sehr glücklich, jetzt etwas anderes zu machen; es sei gar nicht ihre Absicht gewesen, berühmt zu werden, verkündete sie, nunmehr Master of Business Administration, verheiratet und mit festem Wohnsitz in Tacoma, 2014 der amerikanischen Presse.
Koreas Öffentlichkeit sah es mit Unglauben. Die Presse wurde nicht müde zu betonen, daß in ihre Ausbildung zur Raumfahrerin immerhin 21 Mio. Euro Steuergelder geflossen waren. Eine Fehlinvestition? Aber, so entgegnete die KARI, ihren Vertrag dort hat sie treu erfüllt. Niemand kann sie mehr in Korea halten.
Warum auch. Korea ist den brain drain gewöhnt. Immer wieder sind hochqualifizierte koreanische (und japanische, und deutsche und viele andere) Wissenschaftler in den letzten 50 Jahren in die USA gegangen, um dort zu studieren — und schließlich dageblieben. Man hatte sich gewiß von ihnen in ihrer Heimat mehr erhofft.
Oft gibt es ganz persönliche Gründe zum Weggehen. Da ist eine Frau, die Anfang 30 ist und nun endlich der Liebe ihres Lebens begegnet. Im Ausland, wo sie nicht ständig jemand mit dem 21-Millionen-Euro-Blick taxiert. Da ist der Wunsch, beruflich noch einmal ganz neu anzufangen. Völlig verständlich, wenn man meint, nach all der Schwerelosigkeit einmal festen Boden unter den Füßen haben zu wollen.
Und dann ist da der Hintergrund, vor dem solche Entscheidungen reifen. Der kulturelle und der soziale Hintergrund nämlich, der Männer zu Industriespionen und Frauen zur zweiten Wahl macht. Der nationale Idole produziert, um kollektive Träume zu schaffen. Idole, die nicht altern, die nicht heiraten, die keine Privatsphäre brauchen. Kein Wunder, daß eine Frau, die es zur nationalen Unsterblichkeit geschafft hat, sich am Ende dann doch so fühlt wie der Fliegende Holländer. Sie brauchte Erlösung, sie hat sie gefunden. Schöner Stoff für ein koreanisches Fernseh-Drama.