Der kalendarische Beginn des Sommers markiert in jedem Jahr den Höhepunkt des Verzehrs an Hundefleisch in China und Korea. Nur dort sowie in einem Teil Südostasiens (Vietnam, Kambodscha, Laos, Philippinen) und Nigeria gelten Hunde heute noch als Delikatesse oder Medizin, oft mit religiöser Begründung.[1]
In China ziehen seit einigen Jahren Hundefleisch-Festivals, auf denen zur Sommersonnenwende lebende Hunde zum Zweck des Schlachtens feilgeboten werden, die Aufmerksamkeit und den Zorn chinesischer Tierschützer (und westlicher Journalisten) auf sich. Ein BBC-Reporter berichtete 2014, ein südkoreanischer Diplomat habe ihn inständig gebeten, niemals über Hundfleisch zu schreiben, weil übertriebene internationale Aufmerksamkeit für dieses Phänomen „eine komplexe kulturelle Differenz in ein krudes rassistisches Stereotyp“ verwandle.
Freilich wirbt die südkoreanische Regierung seit einigen Jahren im Zuge ihres „nation branding“-Konzepts für die Internationalisierung der koreanischen Küche; insofern darf die Aufmerksamkeit für die eher ungewöhnlichen Aspekte dieser Eßkultur nicht verwundern; auch wenn feststeht, daß Hundefleisch in der koreanischen Küche ein wenig bedeutsames Phänomen ist.[2] Mehr als 80 % der Südkoreaner (überwiegend Männer) geben an, in ihrem Leben bereits Hundefleisch gegessen zu haben; die meisten, weil sie glauben, daß es gut für ihre Gesundheit ist, und etwa ein Drittel, weil es ihnen schmeckt.[3] Allerdings essen es die meisten auch nur ein oder zwei Mal in ihrem Leben.[4] Am gebräuchlichsten ist es, Hunde an den „Hundstagen“ (pok il) zu Beginn des Sommers zu schlachten, denn nach alter daoistisch-konfuzianischer Überlieferung gilt ihr Fleisch als guter Schutz gegen die Sommerhitze.[5] Hundesuppe (käjang) oder durch stundenlanges Sieden von Hundefleisch hergestellter Hundesaft (käsoju) betrachtet man daher als eine Art Medizin (wie so oft, auch gegen Impotenz).
Der Genuß von Hundefleisch datiert in Koreas Frühgeschichte zurück. Nachdem sich jedoch der Buddhismus auf der Halbinsel verbreitete, dem Fleischgenuß grundsätzlich suspekt ist, verschwand er. Erst in der 1392 beginnenden Choseon-Zeit kam das Hundeessen wieder in Mode, denn der Konfuzianismus zählte Hund zu den eßbaren Tieren. Mindestens 14 verschiedene Arten von Zubereitung sind aus dieser Zeit bis hin zur Kolonialzeit überliefert.[6] In den ländlichen Gegenden Koreas hielten manche Haushalte noch in den 1950er Jahren außer ihren Jagdhunden auch einige Hunde, die zum Verzehr bestimmt waren.[7] In adligen Kreisen bis hin zum Königshof galt Hund durchaus als Delikatesse.[8] In der japanischen Kolonialzeit kam zwar der Tierschutzgedanke auf, doch sah man im Verzehr von Hundefleisch kein ethisches Problem.[9] Als Franziska Donner, die österreichische Ehefrau von Staatspräsident Yi Sungman, ihr Befremden äußerte, benannte man Hundesuppe pietätvoll in „Stärkungssuppe“ (poshintang) um, ohne daß sich freilich an den Ingredienzien etwas änderte. Erst im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von Seoul 1988 stieg die Sensibilität, weil die internationalen Gäste Hundefleisch-Gerichte degoutant fanden. Deshalb verbot die Regierung Hundemärkte, verlegte Hundefleisch-Restaurants in weniger zugängliche Stadtviertel und verbot die grausame Tötung von Hunden (die man vorher üblicherweise an einem Baum aufknüpfte und zu Tode prügelte).[10]
Auch im Umfeld der Fußballweltmeisterschaft von 2002 kam es im In- und Ausland zu Protesten, aber nun schlug das Lokale zurück: Es bildete sich eine Nationale Vereinigung der Hundefleisch-Restaurants, die den Verzehr von Hundefleisch zum schützenswerten nationalen Kulturgut deklarierte, als „ein gutes Gericht, auf das wir stolz sind“.[11] Der Konsum von Hundefleisch scheint seither wieder zu steigen.[12] In einer Meinungsumfrage von 2009 sprachen sich zwar 55 % der befragten Südkoreaner dagegen aus, Hunde zu essen, aber nur 24 % waren dafür, Hundefleisch zu verbieten.[13] Hundefleisch mag auf dem Speisezettel der heutigen Koreaner kaum eine Rolle spielen, aber als „nationalistisches Konzept“[14] ist es im Denken präsenter denn je — ein weiterer Beleg für die Wechselwirkung von globalem Widerspruch und lokalem Eigensinn.
Anmerkungen
[1]Neville G. Gregory, Temple Grandin (Hgg.): Animal Welfare and Meat Production. CABI 2007, S. 165
[2]Anthony L. Podberscek: „Good to Pet and Eat.“ In: Sarah Knight, Harold Herzog (Hgg.): New Perspectives on Human-Animal Interactions: Theory, Policy and Research = Journal of Social Issues 65:3 (2009), S. 615–632, hier S. 623.
[3]Podberscek ebd. 623.
[4]Boudewijn Walraven: „Bardot Soup and Confucian’s Meat: Food and Korean identity in global context.“ In: Katarzyna J. Cwiertka, Boudewijn C. A. Walraven (Hgg.): Asian Food: The Global and the Local. Routledge 2013, S. 95–115, hier S. 102.
[5]Walraven ebd. 619.
[6]Podberscek ebd. 102.
[7]Walraven ebd. 102.
[8]Walraven ebd 103.
[9]Walraven ebd. 103.
[10]Podberscek ebd. 620.
[11]Walraven ebd. 110.
[12]Podberscek ebd. 623.
[13]Podberscek ebd. 625–626.
[14]Walraven ebd. 110.