Aus Protest gegen die nach seiner Meinung viel zu hoch angesetzten Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Schul- und Kindergartenhöfen im nuklearen Katastrophengebiet hat ein erst im März berufener Regierungsberater, Kosako Toshisō 小佐古敏荘, am 29.4. seinen Rücktritt angekündigt. Er sei frustriert, weil die Regierung nicht auf ihn hören wolle. Ministerpräsident Kan hat darauf mit der Mitteilung reagiert, der Grenzwert werde gesenkt.
Der umstrittene Grenzwert geht auf eine Stellungnahme der Krisenzentrale zur Abwehr der Nuklearkatastrophe gegenüber dem Kultus- und dem Gesundheitsministerium vom 19.4.2011 zurück. Unter Berufung auf die International Commission on Radiological Protection (ICRP) wird dort für eine Übergangszeit eine jährliche Strahlendosis von 20 mSv für akzeptabel gehalten. Dies bedeute auf den Tag umgerechnet 3,8 uSV/h außerhalb von Gebäuden (bei 8 Stunden Aufenthalt im Freien) und 1,52 uSV/h innerhalb von Gebäuden. Schulen und Kindergärten, auf deren Höfen diese Werte unterschritten würden, dürften ihre Kinder im Freien spielen lassen. Allerdings sollten die Kinder keine Erde in den Mund nehmen, sich nach Hofaktivitäten das Gesicht waschen und den Mund regelmäßig ausspülen und zuhause ihre Schuhe von Staub reinigen. Diese Regelung sei bis zum Ende der Großen Ferien (Ende August) befristet.
In der Tat hat die ICRP am 21. März Japan mitgeteilt,
the Commission continues to recommend choosing reference levels in the band of 1 to 20 mSv per year, with the long-term goal of reducing reference levels to 1 mSv per year
— woraus ersichtlich wird, daß der Wert von 20 mSV als Höchstwert akzeptiert wurde. Es ist damit natürlich überhaupt nicht gesagt, daß sich eine Regierung unbedingt an diesem Höchstwert orientieren muß — auch wenn die Lebenserfahrung sagt, daß Bürokraten gern an die Grenze dessen gehen, wofür sie eine Rechtfertigung finden.
Es gibt Regionen auf der Erde, in den die natürliche Radioaktivität erheblich über dem von der ICRP vorgeschlagenen (und auch in Deutschland geltenden) Wert von 1 mSv jährlich liegt. Im indischen Kerala beträgt sie ganzjährig 4 mSv, im chinesischen Guangdong 5,4 mSv, im brasilianischen Guarapari und im iranischen Ramsar 6 mSv. In keiner dieser Regionen ist eine Zunahme von Krebserkrankungen in der Bevölkerung beobachtet worden. (Johannes Friedrich Diehl: Radioaktivität in Lebensmitteln. Weinheim 2003, S. 54-56. Diehl war Vorsitzender der „Leitstelle zur Überwachung der Umweltradioaktivität in Lebensmitteln“ der Bundesforschungsanstalt für Ernährung.) Wahrscheinlich wäre es der japanischen Bevölkerung deutlich einfacher zu vermitteln, wenn statt eines Freilandversuchs mit 20 mSV die empirisch gesicherten Werte — also maximal 6 mSv — angesetzt würden. Und wenn zudem kleine Kinder und schwangere Frauen die großen Ferien zur Vorsicht einmal woanders verbrächten.