Hier noch ein luzider, unbedingt lesenswerter Beitrag zum Thema „Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft“ aus einem neutralen Blickwinkel (die drei Verfasser sind Schweizer):
Wenn Sprache als bloßes Werkzeug der Ideen- und Informationsvermittlung gesehen wird, das auf transparente Weise ein getreues Abbild der Natur vermittelt, kann man sich in der Tat Überlegungen zu Wahl und Verwendung von Sprachen im Wissenschaftsbetrieb getrost sparen.
Lässt man das Instrument der Kommunikation als solches außer Acht, gibt man sich jedoch der Illusion bzw. dem Mythos des transparenten Wissenschaftsdiskurses hin, d.h. man spricht diesen Erkenntnisobjekten völlige Unabhängigkeit von der Sprache zu — als ob die Objekte in gewisser Weise für sich selbst sprechen könnten.
Dementsprechend lässt sich die geringe Aufmerksamkeit bzw. der geringe Wert verstehen, den man der Wahl der Verkehrssprache bemisst (sic), wenn diese lediglich als bloßes Werkzeug für die Übermittlung von sprachunabhängiger Information gesehen wird. Ist das angestrebte Ziel ein möglichst effektiver, einfacher und wirtschaftlicher Austausch von Information, scheint sich Englisch dann in der Tat als lingua franca aufzudrängen. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass Englisch, als die Sprache des kleinsten gemeinsamen Nenners, oft nur ein minimales Verständnis gewährleistet und ganz automatisch zu lediglich vordergründiger — falscher — Augenscheinlichkeit und zum Mythos von wechselseitiger Verständigung führt.
Jeder geht von seinen eigenen Vorstellungen aus, im Glauben, dass sie universelle Geltung haben — solange kein Anlass besteht, sie zu hinterfragen. Und genau solche Anlässe laufen Gefahr, langfristig unter dem Einfluss von Einsprachigkeit und Monokultur zu verschwinden.
Georges Lüdi, Kurt Seelmann, Beat Sitter-Liver: Sprachenvielfalt und Kulturfrieden. Stuttgart: Kohlhammer 2008, S. 192