Wer sich mit den Eßgewohnheiten in der Edo-Zeit beschäftigt hat, weiß, daß es damals verpönt war, Fleisch zu essen — und dennoch gab es Spezialitätenrestaurants für Wildschwein. Allerdings nannte man das Wildschwein nicht Wildschwein, sondern „Bergwal“ (yamakujira 山鯨). Denn Meerestiere fielen nicht unter das buddhistische Fleisch-Tabu.
Weniger bekannt ist, daß eine ähnliche Umbenennung auch für ein Insekt üblich war, das seit langer Zeit in Japan heimisch und bei den Bauern als Proteinlieferant beliebt war (und teilweise noch heute ist): Die Wanderheuschrecke, inago 稲子. In Japan kamen sie am häufigsten in den Naßreisfeldern vor. Nach der Reisernte konnte man sie sehr einfach und in großen Mengen fangen, aufspießen und braten oder in Shoyu mit Zucker zu Tsukudani 佃煮 verkochen.
Das klingt ja schon merkwürdig, denn eigentlich besteht Tsukudani aus kleinen Fischen und Meeresfrüchten.
Aber genau da liegt die Pointe. Statt inago hießen die Wanderheuschrecken nämlich mancherorts oka-ebi 丘エビ, „Hügel-Krebse“, obwohl sie mit Krebsen herzlich wenig zu tun haben (angeblich schmecken sie ähnlich).
Und nun wird es noch merkwürdiger. Auf englisch heißt Wanderheuschrecke bekanntlich locust, was aus dem Französischen stammt: locuste, was seinerseits aus dem Lateinisch stammt: locusta. Das Wort ist auch ins Deutsche gelangt — als Languste. Aber Langusten sind Flußkrebse und heißen auf japanisch Ise-ebi 伊勢エビ! Und „Krebs“ war auch die ursprüngliche Bedeutung von locusta. Auf englisch heute lobster (Hummer).
Damit schließt sich ein interessanter Kreis. Daß man Wanderheuschrecken ißt, kennt man aus vielen Kulturkreisen — man kann es schon in der Bibel nachlesen. Daß man diese Insekten in Japan wie in Europa zu Krebstieren erklärte, läßt tief in die Abgründe unserer gemeinsamen Kochtöpfe blicken.