Eine wahre Geschichte aus dem Jahr 2021: Eine junge Deutsche, selbst mit Migrationshintergrund, will Japanisch lernen und sucht sich dafür einen Tandempartner. Der junge Mann, mit dem sie online zusammenkommt, bringt beim Kennenlernen das Gespräch auf Hobbys und Vorlieben. Arglos äußert die Deutsche: „Ich mag K-Pop.“ K-Pop ist koreanische Popmusik, unter Jugendlichen in aller Welt seit Jahren äußerst beliebt. Aber nicht bei allen, wie sie nun erfahren muß. Der junge Japaner erwidert in der Behelfssprache Englisch: „You are enemy.“ Denn er hasse Korea und alles, was mit dessen Kultur zusammenhänge.
Die junge Deutsche erleidet einen Kulturschock. Sie interessiert sich wirklich für Japan und hat gerade deswegen sich vorgenommen, Japanisch zu lernen, um mit Japanern ihrer Altersgruppe ins Gespräch zu kommen. Da wirkt die Antwort ihres Tandempartners wie eine kalte Dusche. Sie stellt sich jetzt die Frage: Wozu Japanisch lernen, wenn das Gegenüber an einem freundschaftlichen Dialog gar nicht interessiert ist? Wozu sich mit Japanern abgeben, wenn diese voller Vorurteile und Haß stecken?
Es ist traurig, aber wahr, daß die Zahl von Japanern mit einer solchen Geisteshaltung — zumindest, was das Verhältnis zu Korea angeht — in den letzten Jahren gestiegen ist. Den Beweis liefert die japanische Regierung selbst, die seit 1978 regelmäßig in der Bevölkerung Umfragen vornehmen läßt, in denen nach der Einstellung gegenüber fremden Ländern gefragt wird. Die Tendenz der Antworten ist ziemlich klar. Bis etwa 1998 fühlten etwa 40 Prozent der Befragten wenigstens etwas Nähe zu Südkorea; danach nahm dieser Anteil stetig zu und erreichte zwischen 2009 und 2011 seinen Höhepunkt mit mehr als 60 Prozent. 1998 war das Jahr, in dem Präsident Kim Täjung und Premierminister Obuchi Keizō eine „neue Partnerschaft“ beider Länder ausriefen und in dem die „koreanische Welle“ mit Popmusik und TV-Dramen auch Japan erreichte. Anfang 2011 leistete Südkorea in großem Umfang Hilfe nach der nuklearen Erdbebenkatastrophe in Fukushima und Nordostjapan. Doch in der zweiten Hälfte dieses Jahres kam es zu einem Wendepunkt: Südkoreas Verfassungsgericht verlangte Anstrengungen der Regierung zugunsten der „Trostfrauen“, im Dezember wurde die „Trostfrauen“-Statue vor der japanischen Botschaft in Seoul errichtet. Und in Japan errangen die Konservativen wieder die Regierungsmacht. Die Folgen für das Meinungsklima in Japan waren dramatisch. Seither liegen die Sympathiewerte für Südkorea stets bei weniger als 40 Prozent — also schlechter als noch zu Zeiten der Militärdiktatur. Umgekehrt ist die Zahl der Japaner, die überhaupt keine Nähe zu ihrem Nachbarland spüren, auf über 40 Prozent gestiegen. Einer von ihnen hat nun eine junge Deutsche zu seinem Feind erklärt, weil sie seine Abneigung gegen Korea nicht teilt.
Dies ist alles erschreckend. Die Unfähigkeit, mit den Nachbarn ins Reine zu kommen, kostet Japan Freundschaftspunkte — nicht nur in Asien. Daß solche Einstellungen, die für das Land und seine Menschen selbst schädlich sind, inzwischen auch unter jungen Leuten verbreitet sind, ist das Ergebnis einer gedankenlosen und verantwortungslosen Bildungspolitik, einer ebenso gedankenlosen und verantwortungslosen Medienlandschaft und einer unanständigen und rücksichtslosen Außenpolitik, deren Repräsentanten durch ihren Mangel an Empathie und Taktgefühl ihrer Jugend ein schlechtes Vorbild sind — wie jener japanische Diplomat, der seine Kritik an Südkoreas Präsidenten in eine sexuell anstößige, unanständige Wortwahl kleidete. Japan hat ein veritables Haltungsproblem, das es für seine Freunde immer schwerer werden läßt, ihm beiseite zu stehen.
Quelle des Schaubildes: Umfragen der japanischen Regierung, 1978-2020