Südkoreas Nationales Institut für Koreanische Geschichte (Kuksa Pyonchan Wiwonhö 國史編纂委員會, NIKH) ist seit 1946 damit beauftragt, über die Darstellung und Verbreitung von Ansichten über die Geschichte Koreas zu wachen. Dazu gehört auch die Kontrolle der an den Schulen im Land zugelassenen Lehrbücher.
Seit Mitte 2013 herrscht über dieses Institut und seine Zulassungspolitik erbitterter Streit. Hintergrund ist die Entscheidung der neuen Staatspräsidentin Park, daß koreanische Geschichte ab 2017 Pflichtteil der staatlichen Eignungsprüfung für das Hochschulstudium (dähak suhak nŭngnyŏk shihŏm 大學修學能力試驗, kurz sunŭng) wird. Denn die Testfragen bei der sunŭng, die eine entscheidende Weichenstellung in der Bildungskarriere südkoreanischer junger Menschen darstellt, werden aus den vorliegenden offiziellen Lehrbüchern abgeleitet.
Der Streit tobt zwischen Südkoreas Linken und der rechten Mehrheit. Die Linke wirft den Rechten vor, Koreas Geschichte antidemokratisch und pro-japanisch umschreiben zu wollen.
Der Leiter des NIKH ist Yu Yŏng-ik, altgedienter Geschichtsprofessor, der erst in diesem Jahr als Summer seiner eigenen Forschungen das Buch „Yi Sŭngman, der Landesgründer-Präsident“ (Konguk Dätoryŏng Yi Sŭngman 建國大統領李承晚) publiziert hat. Darin hebt Yu nach intensivem Studium der erst in den 1990er Jahren für die Forschung freigegebenen Akten von Südkoreas erstem Staatspräsidenten dessen prägende Bedeutung für die Formulierung der US-amerikanischen Haltung gegenüber der Unabhängigkeit Koreas hervor und schreibt ihm letztlich das größte Verdienst beim Aufbau eines unabhängigen Südkoreas zu. Diese Interpretation gehört zu einem in jüngster Zeit hervortretenden Forschungstrend. Doch da Yis als autoritär empfundene Herrschaft 1960 durch Studentenunruhen ein dramatisches Ende fand, kann sich Südkoreas Linke mit dieser Interpretation nicht anfreunden. Für sie war und bleibt Yi ein pro-amerikanischer Antidemokrat — was für die Linke nahezu synonym ist und nur noch durch den Vorwurf, projapanisch zu sein (was man Yi schwer nachsagen kann) gesteigert werden könnte.
In dieselbe Linie wie den von Park zum Institutsleiter ernannten Yu ordnet die oppositionelle Linke auch die jüngste Ernennung von Yi Bä-yong zur Leiterin der Academy of Korean Studies ein. Yi war vorher Präsidentin der Ehwa-Frauenuniversität und spricht sich etwa dafür aus, in Geschichtsbüchern den bisher für die Zeit nach 1989 verwendeten Begriff der „Demokratie“ in „liberale Demokratie“ zu differenzieren — was impliziert, daß es bereits vor dem Ende der Militärdiktatur in Südkorea Demokratie gegeben habe; nur eben keine liberale (sondern eine konservative). Dies widerspricht der Geschichtsauffassung der Linken natürlich vehement, deren Pathos aus der Konstruktion einer durchgängigen Widerstandsbewegung von 1910 bis 1989 schöpft: anti-japanisch, anti-amerikanisch, anti-autoritär. Mit der geringsten Betonung auf anti-kommunistisch, denn dies nimmt die Gegenseite für sich in Anspruch.
Die linksliberale Zeitung Kyunghyang Shinmun sieht in beiden Personalentscheidungen der Präsidentin eine Kriegserklärung an die Linke:

The fact that the government is pushing ahead with the appointment of figures with biased views to head both institutions overseeing Korean studies and Korean history despite controversy is enough to make people suspect that the current history war is progressing at the government level.

Demonstration gegen das Schulbuch des Kyohak-Verlags
Ins Visier der Kritik kommt aber auch die Geschichtswissenschaft treibende Zunft selbst. Der Verlag Kyohaksa 教學社 veröffentlichte ein neues Geschichtslehrbuch für Oberschulen, dessen Autoren wie Yu und Yi zur „Neuen Rechten“ gezählt werden. Das Buch erhielt als eines von acht für das Schuljahr 2014 vorgelegten Geschichtsbüchern eine vorläufige Zulassung durch das koreanische Kultusministerium. Die linke Kritik wirft diesem Werk vor, „Vorurteile“ zu verbreiten, die auf eine Revision der modernen koreanischen Geschichte hinausliefen. Festgemacht wird dies an Begrifflichkeiten, an denen die Linke hängt. So werde die „Studentenrevolution“ von 1960 (die Yi Sŭngman aus dem Amt jagte und eine kurze Periode liberaler Demokratie einleitete) nur als „Studentenbewegung“ bewertet, die „Demokratische Bewegung von Kwangju“ 1980 nur als „Aufstand“. Aus einigen „Unabhängigkeitkämpfern“ der Zeit vor 1945 würden gar „Terroristen“, wodurch „pro-japanische Vorurteile“ verbreitet würden. Die Kolonialzeit werde viel zu positiv dargestellt. Das Buch sei, so ein Oppositionspolitiker, „pro-japanischer als japanische Schulbücher“. Die Opposition gelobte gar, Druck und Verwendung dieses Buches mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Kritische Historiker beanstandeten fast 300 Stellen in diesem Buch als fehlerhaft und geschichtsverfälschend. Stellenweise sei es außerdem aus Wikipedia abgeschrieben.
Auch das Kultusministerium unterzog Anfang September alle eingereichten Lehrbücher einer Prüfung und ordnete eine Revision zahlreicher „Fehler“ an. Alle betroffenen Verlage und Autoren wehrten sich dagegen — die sieben Konkurrenten des Kyohak-Werkes taten sich gar zusammen und wiesen die Änderungswünsche des Ministeriums mit dem Hinweis zurück, sie würden sich nicht in einen Topf mit dem „fehlerbehafteten“ Konkurrenzwerk werfen lassen. Das Ministerium habe unanständigerweise nicht berücksichtigt, daß das Kyohak-Werk „pro-japanische Aktivitäten und Diktaturen“ glorifiziere.
Gegen diese Kritik wehrten sich wiederum die Autoren des Kyohak-Bandes und bezeichneten sie als unfair. Erstens gebe es viele andere Bücher, die pro-kommunistisch, pro-nordkoreanisch, anti-amerikanisch und anti-japanisch verzerrte Darstellungen enthielten und dafür nicht kritisiert würden. Mitautor Lee Myung-hee hob hervor, es gehe in diesem Buch darum, die bislang „dichotomisierende Sicht“ auf die koreanische Geschichte aufzubrechen. So sei die Kolonialzeit bislang schwarz-weiß gemalt worden, ohne anzuerkennen, daß sie positive Elemente der Modernisierung mit sich gebracht habe.
Solche von seriösen Historikern seit einiger Zeit durchaus vertretenen Ansichten („colonial modernity“) sind freilich unpopulär. Die Bezeichnung „pro-japanisch“ ist in Südkorea gleichbedeutend mit „Kollaboration“, und zwar sowohl mit dem japanischen Kolonialregime als auch mit den Nachkriegsregimen. Die massive Kritik ließ den Verlag sogar erwägen, auf eine Veröffentlichung zu verzichten — zu groß war die Gefahr, daß seine anderen Lehrbücher zum Opfer eines konzertierten Boykotts werden konnten. Die Lehrergewerkschaft organisierte eine Demonstration gegen das Buch, die Schulbehörde der linksregierten Provinz Kyŏnggi kündigte an, es nicht zulassen zu wollen. Als die Autoren des Geschichtsbuchs im September auf einer Pressekonferenz jedoch versprachen, Korrekturwünschen nachzukommen, entschied der Verlag, es wie geplant zu publizieren.
Am 21. Oktober wies das Kultusministerium nun alle acht Schulbuchverlage an, nicht weniger als 829 von ihm ermittelte Fehler oder Fehlinterpretationen bis zum 1. November zu korrigieren. Davon sind 251 im Kyohak-Buch gefunden worden.
Im Zusammenhang mit der Kampagne gegen das Kyohak-Buch sprach die konservative Tageszeitung Dong-A Shinmun von einem „illegalen Angriff“ auf die Freiheit von Meinung und Wissenschaft. Zudem könne von Objektivität auch bei den übrigen sieben Lehrwerken nicht gesprochen werden. So würden sie nordkoreanischen Terror gegen südkoreanische Politiker wie auch die Versenkung des südkoreanischen Kriegsschiffs Chŏnan verschweigen.
Jedenfalls beweist die Kontroverse, daß die Liberalisierung des Schulbuchmarktes (vor 2003 gab es in Südkorea stets nur vom Staat geschriebene Geschichtslehrbücher) in einer pluralen Gesellschaft notwendigerweise zu Kämpfen um die Deutungshoheit über die nationale Geschichte führt — so war es ja auch in Japan, als dort 2001 das rechtslastige „Neue Geschichtslehrbuch“ des Fusōsha-Verlags erschien. Die „Geschichtskriege“, die wir in Japan und Südkorea sehen, sind Symptome für die Auflösung eines homogenen, kanonisierten, nationalistischen Geschichtsbildes, an dessen Stelle partikularistische Auffassungen treten. Der „Geschichtskrieg“ entwickelt sich zunehmend zum Bürgerkrieg. So grotesk es klingt, mag dies auch wieder Chancen bieten, die sich vor kurzem noch niemand vorstellen mochte: daß sich eines Tages nämlich die Linken in beiden Ländern und die Rechten in beiden Ländern auf ein jeweils gemeinsames, transnationales Geschichtsbild verständigen.