Bei den Beratungen über den ersten Nachtragshaushalt für 2011 bliesen Vertreter der Oppositionsparteien wie gewohnt zur Hatz auf Ministerpräsident Kan Naoto 菅直人 (DJP) — ungeachtet der nuklearen Katastrophe in Nordost-Japan. Die Liberaldemokraten kritisierten, bei seinem Besuch in einem Evakuierungslager nahe dem AKW Fukushima am 21. April habe Kan mit einem Teil der dort Evakuierten nicht gesprochen. Er sei gefühlskalt und solle deshalb zurücktreten. Die „Partei für alle“ nannte die Verluste der DJP bei den Kommunalwahlen ein Zeichen für den Niedergang der Regierungspartei; die Wähler hätten gegen das Management der Krise durch die Regierung Kan protestiert. Auch die buddhistische „Partei für Sauberkeit“ (Kōmeitō 公明党) warf Kan vor, die Katastrophe durch Anfangsfehler und Verzögerungen von einer Naturkatastrophe (tensai 天災) zu einer Humankatastrophe (jinsai 人災) gemacht; es handele sich deshalb um eine politische Katastrophe oder vielmehr um eine Kan-Katastrophe (kansai 菅災).
Dies alles paßt zu den internen Querelen der DJP, deren Hatoyama-Flügel gleichfalls Kans Rücktritt fordert. Der Koalitionspartner „Neue Volkspartei“ (Kokumin Shintō 国民新党) nannte diese internen Auseinandersetzungen „peinlich“ und „unerträglich“. Recht hat er. Es sieht so aus, als hätten Japans Politiker nichts dazugelernt.
Eine glänzende Analyse der politischen Lage findet sich in einem Artikel von James Pach. Er stellt darin fest, daß die Regierung Kan zweifellos besser auf die Krise reagiert als die LDP-Regierung 1995 auf das Erdbeben von Kōbe und Ōsaka 1995. Daß Kan dennoch in der Bevölkerung unbeliebt ist (ohne daß die LDP beliebter wäre oder daß sich überhaupt eine politische Alternative finden ließe!), führt er auf drei Gründe zurück:
- den Ärger über das Geschehen in Fukushima (für das Kan nichts persönlich kann, aber er ist nun einmal Regierungschef);
- den Ärger über die üble Performanz der DJP als Regierungspartei (für die in erster Linie Kans Vorgänger und jetziger Gegner Hatoyama Yukio verantwortlich ist);
- den Ärger über die Politiker insgesamt, die seit 20 Jahren keine klaren Konzepte dafür aufzeigen, Japan aus seiner strukturellen Krise zu befreien.
Paradoxerweise ist aber nicht zu erwarten, daß Neuwahlen die Oppositionsparteien an die Macht bringen würden — sie sind Gefangene desselben Systems. Deshalb schließt Parch:
Let’s hope Kan can stay the course, because it really is hard to see how Japan would benefit from a change of government at this point.