Nicht zum ersten Mal richtet sich der besorgte Blick der japanischen Öffentlichkeit auf das Atomkraftwerk Hamaoka 浜岡 in der heutigen Gemeinde Omaezaki 御前崎 in der Präfektur Shizuoka. Es besteht aus 5 Reaktorblöcken; ein sechster ist in Planung, und die Betreiberfirma Chūbu Denryoku 中部電力 hat heute verkündet, an dem für 2016 geplanten Baubeginn festhalten zu wollen. Allerdings habe die Sicherung der bestehenden Blöcke vor einem Tsunami Vorrang.
Denn wie auch das AKW Fukushima I liegt Hamaoka an der Küste und benötigt das Meerwasser zur Kühlung der Siedewasserreaktoren. Aber das Meer ist nicht das einzige Problem. Shizuoka ist wegen seiner tektonischen Lage als Erdbebennest bekannt. Angesehene Wissenschaftler wie der Geologe Mogi Kiyoo 茂木清夫, Emeritus der Tokyo-Universität und damals Präsident der Gesellschaft für Erdbebenprognostik, warnen schon seit 10 Jahren davor, daß Hamaoka im wahrsten Sinne des Wortes ein Pulverfaß darstellt. Mogi wies darauf hin, daß die Erdbebenforscher schon seit Ende der 1960er Jahre ein äußerst schweres Erdbeben mit einer Magnitude von mehr als 8,0 im Raum um Hamaoka für wahrscheinlich halten — und daß Politik und Industrie trotz dieser Warnungen am Bau des Kraftwerks festgehalten haben. Die bisherigen Planungen für Hamaoka reichten keinesfalls aus, um eine Katastrophe zu verhindern. In einem Aufsatz von 2001 schrieb Mogi auch:
Es kommt vor, daß Regierung und Unternehmen gelegentlich etwas tun, was mit dem gesunden Menschenverstand nicht erklärbar ist. Man muß das gründlich im Auge behalten. Auch nachdem es offensichtlich keinen wissenschaftlichen Zweifel an der Ursache für die [durch Umweltverschmutzung verursachte] Minamata-Krankheit mehr geben konnte, gaben dies Staat und Unternehmen jahrelang nicht zu und produzierten in dieser Zeit riesige Mengen an neuen Opfern. Diese Tragödie dürfen wir nicht vergessen.
In der Tat — es gibt strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem Umgang mit Minamata und Fukushima. Die Bürger nicht nur um Hamaoka machen sich nach der Katastrophe von Fukushima berechtigte Sorgen, daß sie sich in Hamaoka wiederholen könnte. Die Blöcke 1 und 2 sind dort zwar seit Anfang 2009 abgeschaltet. Doch lagern fast 1.200 verbrauchte Brennstäbe in ihren Abklingbecken. Die Reaktoren sind auf Erdbeben mit einer Schwerebeschleunigung von 450 Gal ausgelegt. Die Blöcke 3 bis 5 sind gegen deutlich schwerere Erdbeben (600, Nachrüstung auf 1.000 Gal geplant) ausgelegt, doch jeder einzelne von ihnen produziert zwischen 1100 und 1300 Megawatt (zum Vergleich: in Fukushima I höchsten 780 MW). Sie gehören damit zu den größten Reaktoren in ganz Asien. Ihre wirtschaftliche Bedeutung für die Region Mitteljapan ist immens (nicht zuletzt die japanische Autoindustrie braucht diesen Strom).
Der Wunsch, Hamaoka solle dennoch sofort abgeschaltet werden, ist bei einem Blick auf die möglichen Auswirkungen einer Nuklearkatastrophe verständlich. Das schlimmste Szenario stellt die folgende Karte dar, die aus der Perspektive der Anti-Atom-Bewegung annimmt, daß in einem Umkreis von 70 km um Hamaoka jedes menschliche Leben bedroht sei.
Nun mag es im Falle eines Falles nicht so schlimm kommen. Aber ausschließen kann man es eben auch nicht, und die Warnungen der Wissenschaftler sind deutlich. Die Reaktionszeit der japanischen Politik, darauf hat Mogi hingewiesen, ist bekanntlich sehr langsam. Hoffentlich nicht zu langsam.
Chuden, das trotz der wissenschaftlichen Warnungen stets beteuerte, die Sicherheit der Anlage sei ausreichend gewährleistet, hat angekündigt, das AKW durch eine zusätzliche Mauer vor einem Tsunami zu schützen. Außerdem sollen so schnell die Stromleitungen und die Notstrom-Zufuhr zusätzlich gesichert werden. Ob das im Ernstfall reicht und vor allem, ob das politisch reicht, steht in den Sternen.