Journalisten sind ein besonderes Völkchen. Vor einem Interview wegen des Erdbebens erhielt ich gestern die Anweisung, bloß nicht zu sagen, es sei in Tokyo alles gar nicht so schlimm — man sende parallel dazu Katastrophenbilder. Ja, der Effekt ist eben wichtiger als die exakte Berichterstattung. Die Deutschen (und nicht nur sie) bevorzugen eben Katastrophenbilder.
So geht es aber auch in umgekehrter Richtung. Am 23.11.2010 veröffentlichte die für ihre deutschlandkritische Berichterstattung bekannte Asahi Shinbun einen Bericht ihres Berliner Korrespondenten Matsui Ken 松井健. Demnach sei die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland auf sagenhafte 32 % (der Gesamtbevölkerung) gestiegen. 13 % wünschten sich einen „Führer“ wie zu Hitlers Zeiten. Zu 90 % ist der Bericht die eigenwillige Zusammenfassung einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, auf deren Nähe zur SPD natürlich nicht eingegangen wird. Statt dessen wird Bundeskanzlerin Merkel in die Nähe der NPD gerückt. Ursache des Rechtsrucks in Deutschland sei die Wirtschaftskrise.
Schade, daß der Journalist nicht recherchieren gelernt hat. Sonst wüßte er, daß von allen Ländern in der EU und auch im Vergleich zu Japan in Deutschland von einer Wirtschaftskrise gegenwärtig nicht die Rede sein kann. Aber man wendet eben seine nach Schema F einstudierten Schreibtaktiken ein.
Gegenüber der eigenen Innenpolitik ist die Asahi Shinbun übrigens deutlich nachsichtiger. Man könnte auch sagen, handzahm. Oder auch: opportunistisch. Der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen über den grausigen Zustand der japanischen Politik, ist ihre Sache so richtig nicht. Schön, wenn man in dieser Situation billige Feindbilder pflegen kann. Auch das gehört zur 150-jährigen deutsch-japanischen Wirklichkeit.