Ich besitze zwar einen Twitter-Account, benutze ihn aber kaum. Außerdem ist er nicht öffentlich einsehbar. Hin und wieder kommt aber eine Anfrage von jemand, der mir unbedingt folgen will. Da es nichts zu folgen gibt, lehne ich diese Anfragen allesamt ab. Höflichkeitshalber schaue ich aber immer nach, wer sich denn da so brennend für mich interessiert.
Im letzten Fall handelte es sich um eine(n) Japaner(in) aus Yokohama. (Der Einfachheit halber nehme ich jetzt einmal an, daß es eine Frau war. Daher:) In ihrem eigenen Gezwitscher äußerte sie sich gerade verstört über die Tatsache, daß manche Leute die Schriftzeichen 代替 daikae lesen. Sie selbst hielt daitai für richtig.
Ich finde solche Fragen immer spannend, und daher habe ich mich selbst schlau gemacht. Die Antwort lautet: beides ist richtig (wenngleich es nicht daikae, sondern daigae heißen sollte). Oder linguistisch ausgedrückt: Daigae ist eine Stabelbox-Lesung für daitai.
Mit „Schachtelbox-Lesung“ gebe ich hier den Ausdruck 重箱読み jûbakoyomi wieder. Jûbako sind bekanntlich kleine Behältnisse, vornehmlich für Nahrungsmittel, die übereinander gestapelt werden können. Das linguistisch Interessante an ihnen ist, dass hier eine sinojapanische On-Lesung (jû) und eine japanische Kun-Lesung (hako) kombiniert werden. Um das nachzumachen, habe ich mir das deutsch-englische Worthybrid „Stapelbox“ ausgedacht.
Solche Komposita sind nicht wahnsinnig häufig, aber auch wiederum nicht so selten, daß man sie bei angestrengtem Nachdenken nicht finden würde. Einer der häufigsten Kandidaten ist 世論 yoron/seron („öffentliche Meinung“), aber das ist ein gleich wieder eine Ausnahme: ursprünglich schrieb man es nämlich 輿論, doch 輿 gehört nicht zu den Schul-Schriftzeichen und wurde deshalb durch 世 ausgetauscht. Gleichfalls hiermit nicht zu verwechseln ist das Wort 重そう, das ich neulich als Beschriftung auf einer Flasche in der Toilette fand. Es wird nicht „omosô“ gelesen (also „könnte schwer sein“) — sondern jûsô, „Natriumkarbonat“. Es wird vollständig 重曹 geschrieben, doch 曹 gehört nicht zum Grundschul-Zeichenvorrat, und wer Chemikalien nicht in die falschen Hände geraten lassen will, sollte sich schon leicht verständlich ausdrücken.
Manchmal lohnt es sich eben doch, sich ein bißchen damit zu beschäftigen, was normalerweise gleich im Spam-Ordner landen würde.
Übrigens kann man Spam im hiesigen Supermarkt kaufen. Und zu Weihnachten gab es Willy-Wonka-Schokolade. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.