In einem Monat, am 22. Februar 2019, wird Abe Shinzō 安倍晋三 zum japanischen Ministerpräsidenten mit der längsten Regierungszeit nach 1945. Der bisherige Rekordhalter war Yoshida Shigeru, der 1946 bis 1947 und 1948 bis 1954 das Land regierte.
Yoshida ist die entschiedene Bindung Japans an die USA zu verdanken. Er hätte gern im Verhältnis zu China andere Akzente gesetzt, doch die USA ließen dies nicht zu. Wegen des Korea-Krieges war Japan zudem zwar faktisch in Korea engagiert, doch auch dies nur unter amerikanischer Flagge; zu Gesprächen mit Südkoreas Präsident Yi Sŭngman war er nur unter amerikanischem Druck bereit, und sie verliefen im Sande.
Hierin zeigt sich eine Gemeinsamkeit Abes mit Yoshidas: Er würde gern alte Konflikte angehen, die Japans Verhältnis zu seinen Nachbarn seit dem Zweiten Weltkrieg belasten; doch er kann es nicht. Sämtliche außenpolitischen Versprechen, die er seinen Wählern gegeben hat, sind trotz seiner selbsterklärten „Diplomatie mit globalem Überblick“ (chikyūgi wo fukan suru gaikō 地球儀を俯瞰する外交) nicht in Erfüllung gegangen.

  • In Sachen der nach Nordkoreaner entführten Japaner hat sich nichts getan. Im Gegenteil: Japan hat seine Feindseligkeit gegenüber Nordkorea so verschärft, daß Nordkorea nicht einmal mehr zu Gesprächen darüber bereit ist.
  • Das Verhältnis zu Südkorea, dem nicht nur nächstgelegenen, sondern auch politisch am nächsten stehenden Nachbarland, ist zerrüttet oder, wie Japans Kabinettsminister Suga warnt, „in einer ernsten Lage“. Daran trägt zweifellos auch die südkoreanische Seite Schuld, weil dem dort regierenden Populismus Japan insgesamt immer noch als billiges Feindbild dient; aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Deeskalation ist das Letzte, wozu die gegenwärtige japanische Regierung in der Lage ist.
  • Bisher 25 Begegnungen mit Rußlands Staatspräsidenten Putin haben zu keinerlei Annäherung in der Frage der Rückgabe der südlichen Kurileninseln an Japan geführt. Die jüngste Begegnung am 22. Januar, im Vorfeld von Abes Presse mit Erwartungen an den bevorstehenden Abschluß eines Friedensvertrages bei wenigstens Rückgabe des umstrittenen Territoriums vorbereitet, verlief überaus enttäuschend. Sogar die Hauspostille des Premiers, Sankei Shinbun 産経新聞, wirft der Regierung Abe nun vor, der Bevölkerung nicht reinen Wein einzuschenken. Die von Abe öffentlich vertretene Diplomatie einer Annäherung an Rußland zur Eindämmung Chinas gehe an den Realitäten völlig vorbei:

    Die Konstruktion eines Netzes zur Umzingelung Chinas durch japanisch-russische Zusammenarbeit dürfte als einseitiger Wunschtraum der japanischen Seite enden.

  • Japans Austritt aus der Internationalen Walfangkommission wird am 1. Juli 2019 gültig. Danach wird Japan den kommerziellen Walfang wieder beginnen. Damit macht sich Japan in der Weltgemeinschaft mit Sicherheit keine neuen Freunde. Auch im Inland, dessen Bevölkerung kaum am Verzehr von Walfleisch interessiert ist, gibt es Kritik. Das Außenministerium warnte vor dem Austritt — die Parteipolitiker der regierenden Liberaldemokraten wollten ihn trotz aller Imageschäden: Ein Hintergrundartikel des Staatssenders NHK stellt nun heraus, daß der (auch rechtlich problematische und in der langen Diplomatiegeschichte Japans eigentlich nur mit dem Austritt aus dem Völkerbund vergleichbare) japanische Rückzug auf Betreiben hauptsächlich von zwei Politikern beruht: LDP-Generalsekrät Nikai Toshihiro 二階俊博 und Abe Shinzō, deren Wahlkreise in Regionen liegen, in den Walfang einen wichtigen Erwerbszweig darstellt.

Auf 72 Auslandsreisen hat Ministerpräsident Abe laut der Regierungs-Homepage seit 2013 stattliche 1,4 Mio. km zurückgelegt. Die wesentlichen außenpolitischen Probleme, mit denen Japan kämpft, sind zwar schon vor seiner Zeit entstanden. Doch der Verfassungsjurist Mizushima Asaho 水島朝穂 urteilt, daß Abe seit seinem Amtsantritt jedes einzelne von ihnen noch verschlechtert hat. Mizushima faßt das Ergebnis dieses Aktivismus nüchtern zusammen:

Japan befindet sich mit allen seinen Nachbarstaaten in einem „vollumfänglichen Pannenzustand“.

Das Scheitern von Abes Außenpolitik ist offenkundig und kann nach so langer Zeit im Amt kein Zufall mehr sein. So stellt sich angesichts des anstehenden Regierungsjubiläums dem objektiven Betrachter an sich nur eine Frage: Quo usque tandem?