Am 15. April wurde bekannt, daß Japans Regierung keine Einwände gegen den Gebrauch von Hitlers „Mein Kampf“ in Japans Klassenzimmern hat — es dürfe nur nicht zur Förderung von Rassismus benutzt werden.
Am selben Tag erklärte Japans Kultusminister Matsuno Hirokazu (LDP), auch gegen die Verwendung des Kaiserlichen Erziehungsedikts von 1890 sei nichts einzuwenden, solange der Unterricht auf der Grundlage von Verfassung (von 1946) und Erziehungsgrundgesetz (von 1947) stehe. Matsuno gehört dem umstrittenen, rechtsnationalistischen Nippon Kaigi an. Das Edikt wird von drei Grundgedanken geprägt: daß Japans Tugend seit ewigen Zeiten mit dem Kaiserhaus verbunden ist; daß Japan nur gedeihen wird, wenn es in Treue zum Kaiser und dessen Vorfahren steht; und daß die Untertanen gegebenenfalls dem Kaiser tapfer und bis in den Tod dienen sollen.
Wenige Tage zuvor wurde bekannt, daß im neuen staatlichen Lehrplan für japanische Mittelschulen ab 2021 Bajonettfechten (Jūkendō 銃剣道) als Wahlmöglichkeit im Sportunterricht aufgeführt wird. Bajonettfechten gehörte in Japan vor dem Zweiten Weltkrieg zur paramilitärischen Ausbildung. Seit 1980 wird es auf dem Nationalen Sportfest (Kokutai 国体) als Kampfsport praktiziert, allerdings nach Recherchen der Mainichi Shinbun zur Zeit nur an etwa 15 Oberschulen und einer Mittelschule gelehrt (natürlich nicht mit echten Bajonetten — es handelt sich um Holzatrappen mit gepolsterter Spitze ähnlich wie beim „echten“ Kendō). Bislang wurde es im Lehrplan nicht erwähnt, weil es eben nur eine sehr kleine Anhängerschaft — meist Angehörige der Selbstverteidigungsstreitkräfte — hatte. Diese haben bei der öffentlichen Anhörung zum neuen Lehrplan offenbar alle Kräfte mobilisiert, um die Aufnahme in den Kampfsport-Kanon durchzusetzen. Der Verband des Bajonettfechtsports sieht sich nun im Aufwind und bezeichnet seinen Sport als pädagogisch wertvollen Beitrag zur „Menschenbildung“ (Ningen Keisei 人間形成). Im historischen Gedächtnis innerhalb und außerhalb Japans herrscht ein anderer Eindruck vor; Bilder, die japanische Soldaten dabei zeigen, wie sie an chinesischen Kriegsgefangenen Bajonettangriffe üben, sind immer noch gegenwärtig. Japans Regierung bestritt dennoch auf Anfrage aus der Opposition, es handele sich bei der Aufnahme in den Lehrplan um eine Rückkehr zum Militarismus der Vorkriegszeit.
Eine ähnliche Argumentation verfolgt die Regierung auch gegenüber dem Gebrauch des Kaiserlichen Erziehungsedikts von 1890. Ins Gerede kam dieses von den USA während des Zweiten Weltkriegs als ideologische Grundlage des japanischen Imperialismus identifizierte und seither von Generationen von Japanologen analysierte und sezierte Dokument, weil es ein dem Ministerpräsidenten Abe Shinzō 安倍晋三 und seiner Ehefrau nahestehender Kindergarten in Ōsaka seine Zöglinge auswendig lernen läßt — so, wie es vor 1945 Brauch war. Vor wenigen Tagen erklärte Japans Kabinett, gegen den Gebrauch des Edikts im Unterricht spreche nichts, solange man sich im übrigen an Verfassung und Erziehungsgrundsetz halte.
Das Muster ist in allen diesen Fällen unschwer zu erkennen: Keine offizielle Empfehlung, aber nichts spricht dagegen …
Diese vorgebliche Laisser-faire-Haltung der gegenwärtigen Regierung ist neu. Noch unter dem erzkonservativen Ministerpräsidenten Nakasone Yasuhiro wäre sie undenkbar gewesen. Im Mai 1983 erklärte dessen Kultusminister vor dem Parlament, das Edikt passe nicht zum Geist der Nachkriegserziehung, und unterband Versuche, es im Unterricht zu nutzen.
Gegen die jetzt von der Regierung Abe propagierte Verharmlosung des alten Edikts regt sich Widerstand. Selbst die ganz sicher nicht als linksliberal geltende Wirtschaftszeitung Nihon Keizai Shinbun erinnert in ihrem Kommentar daran, daß das japanische Parlament 1948 mit gutem Grund nicht nur einige Stellen, sondern den gesamten Text des Edikts von 1890 außer Kraft gesetzt hat, „weil es offensichtlich nicht zur gegenwärtigen Verfassung paßt, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruht.“ Die Zeitung folgert: „Es darf keinesfalls als heilige Schrift der Moralerziehung wieder ins Leben gerufen werden.“
Aber genau das sehen einflußreiche Kräfte in Japans Regierung und den sie stützenden Bewegungen anders. Was sie anstreben, ist eine neue Bildungspolitik, welche den Geist der Verfassung von 1946 Schritt für Schritt aushöhlt.