Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der laufenden Sommerloch-Debatte um die Beschneidung von Kindern aus religiösen Gründen am 17. Juli davor gewarnt, Deutschland drohe zur „Komiker-Nation“ zu werden. Heribert Prantl, der Chefkommentator der Süddeutschen Zeitung in Rechtsangelegenheiten, wundert sich am 16. Juli, „warum die Kritik einen so aggressiv-selbstgerechten Ton anschlägt“: „Bisweilen kann man den Eindruck haben, dass es nicht nur einen religiösen, sondern auch einen anti-religiösen Fundamentalismus gibt.“
Das sind bedenkenswerte Beobachtungen. Mich wundert allerdings, warum sie erst jetzt und nur auf diese Debatte bezogen werden. Seit Jahren schon neigen Diskurse in Deutschland zum Fundamentalismus und zur „Verächtlichmachung der Anderen“ (Prantl) — in der Fukushima-Debatte um die Kernenergie hat man dies 2011 gut beobachten können.
Statt, wie erhofft, der Aufklärung und der Versachlichung von Entscheidungsvorgängen zu dienen, tragen Online-Diskussionsforen und die mit ihnen gekoppelten journalistischen Systeme bis hin zu den teils unerträglichen Talkshows im Fernsehen nur dazu bei, Öl ins Feuer zu gießen, bis aus Sachfragen säkularisierte Glaubensfragen werden — und aus komplizierten ethischen Abwägungen solche, die ohne tiefere Kenntnis der Sache, aber gestützt auf Vorurteile und populistische Drei-Wort-Maximen (dem angeblich „gesunden Menschenverstand“ angemessen) getroffen werden.
Deutschland ist wohl nicht das einzige Land, in dem diese Niveauverflachung des öffentlichen Diskurses zu beobachten ist. Japan und Korea sind, zumindest partiell, genauso betroffen (wieweit die teilweise nicht weniger erschütternden Diskurse im chinesischen Internet auf freier Meinungsäußerung beruhen, entzieht sich meiner Beurteilungskraft und soll deshalb vorläufig unberücksichtigt bleiben). Der Unterschied ist nur: in Deutschland glaubt man so gern und so leicht, im Besitz der universellen Wahrheit zu sein. Man betrachte jüngste Meinungen wie diese zum Thema Beschneidungsverbot:

Ich bin mir sicher das Deutschland nur eine Vorreiterolle spielt und andere Staaten die sich für die Freiheit ihrer Bürger einsetzen, nachziehen werden. (12.7.2012)

Die Bundesrepublik Deutschland könnte eine Vorreiterrolle spielen in dieser Entwicklung – hin zu einer fortschrittlichen humanen Gesellschaft (18.7.2012)

Auch wenn wir in Deutschland nun Vorreiter rein sollten, dann sind wir es eben … (16.7.2012)

Nein, Bescheidenheit ist nicht die Sache der Deutschen. Wenn schon Lösungen, dann gleich für die ganze Welt. So ähnlich hat man ja 2011 nach dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergie gleich das „Ende des Atomzeitalters“ beschworen.
Am 7.6.2011 hieß es übrigens in einem Artikel des „Telegraph„:

More than 30,000 people in 15 countries were asked to rank the nations with the worst sense of humour and Germany came out on top.

Wenn Frau Merkel recht hat, ändert sich dieses negative Image ja vielleicht demnächst.