Nun bin ich seit gestern abend wieder in Japan. Zum ersten Mal seit drei Jahren. Doch noch nie, seit ich 1983 zum ersten Mal nach Japan gereist war, gestaltete sich die Reise so schwierig wie dieses Mal …
Zunächst einmal brauchte es Geduld und Glück, um ein Visum zu bekommen. Denn visumfreie Aufenthalte sind im Moment nicht möglich. Man darf als Ausländer nur ins Land, wenn man dort einen Arbeits- oder Studienplatz oder Familienangehörige nachweisen kann. Auf mich traf beides zu, doch da diese Bestimmungen erst ab März wieder allgemein gelten, war die Antragstellung ein wenig mit Fragezeichen versehen. Das Visum wurde dann aber binnen weniger Tage ausgestellt. Ich erhielt sogar eine Bescheinigung der japanischen Botschaft, die ich auf dem Flughafen vorlegen sollte, um jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Visums zu zerstreuen. Das half auch tatsächlich, war aber erst der über-übernächste Schritt meiner Odyssee.
Denn kaum hatte ich mein Visum, überfiel Rußland die Ukraine. In den folgenden Tagen stellte eine Fluggesellschaft nach der anderen den Flugverkehr über Rußland nach Ostasien ein. So auch Japan Airlines. Was ich mir als kürzeste Verbindung ausgesucht hatte — von Berlin über Helsinki nach Haneda — funktionierte plötzlich nicht mehr. Ich mußte also auf einen Flug nach London umgebucht werden. Das hat, dank eines freundlichen Finnair-Mitarbeiters mit dem vielversprechenden Vornamen Eros, auch funktioniert. Allerdings sollte mein Zubringer-Flug nun von British Airways durchgeführt werden.
Also ließ ich am 19. März meinen PCR-Test über mich ergehen und reiste frohgemut am 22. März zum Berliner Flughafen an — um bei der Ankunft entsetzt festzustellen, daß mein Flug nach London gestrichen war. Grund hierfür war ein bundesweiter Warnstreik der Gewerkschaft Verdi. Sämtliche möglichen Ausweichrouten über Frankfurt, Köln, Stuttgart, München usw. waren ebenfalls storniert. Weder British Airways noch Finnair haben Büros in Berlin, also mußte ich online oder telefonisch versuchen, weiterzukommen. British Airways verwies mich sofort auf den „Veranstalter“, bei dem ich gebucht hatte — also Finnair. Dort waren alle Telefonleitungen besetzt, aber nach einer Stunde kam ich im Chat durch … und geriet wieder an Eros. Der konnte gar nicht glauben, daß BA mich nicht automatisch umgebucht hatte, und organisierte in der nächsten halben Stunde, daß ich einen Nachmittagsflug nach London und dann den Nachtflug mit JAL nehmen konnte.
Ausgefallene Flüge in BER
So weit, so gut. Aber um 13 Uhr lief mein PCR-Test ab. Für den auf den Nachmittag verschobenen Flug brauchte ich also einen neuen Test, und zwar als Schnelltest, damit ich das Ergebnis beim Checkin vorlegen konnte. Den kann man am Berliner Flughafen auch bekommen — für 180 Euro. Vielen Dank auch, VERDI! Dafür erhielt ich auch gleich das in Japan vorgeschriebene japanische Formular — extrem wichtig, denn sonst drohen gefährliche Komplikationen bei der Einreise.
Nun endlich konnte ich einchecken. Der Flug nach London-Heathrow verlief unproblematisch; der Transfer von Terminal 5 zu Terminal 3 war zeitaufwendig, aber nicht wirklich kompliziert. Der Flug nach Japan war angenehm, weil das Flugzeug nicht voll besetzt war und wir viel Platz zum Ausruhen hatten. Allerdings dauerte er rund 15 Stunden, und das übersteht man wahrscheinlich am besten auf dem Nachtflug. Die neue Route führte über Kanada und Alaska, wie vor 1989, nur ohne Zwischenlandung. Das Infosystem an Bord war damit leicht überfordert, wie man an der Karte des Flugverlaufes sehen kann.
Und dann kommt der bürokratische Teil der Reise. Bekanntlich liebt man in Japan geordnete Abläufe. Aber die Einreise gestaltet sich im Moment als ein Hindernislauf, dessen Bedeutung sich nicht ohne weiteres erschließt. Zunächst wird verlangt, daß jeder Reisende sich ein Programm namens MySOS auf sein Smartphone installiert. Darin sollte man gleich alle Reisedaten und Erklärung zum Gesundheitszustand (mit Blick auf die Corona-Pandemie) eintragen. Hat man dies getan und abgeschickt, erhält man einen QR-Code. Nur mit diesem QR-Code erhält man den Laufzettel zum entscheidenden Hindernislauf.
Er besteht aus fünf Stationen, auf denen man immer wieder Formulare vorlegen und bestätigen muß. Welche Impfungen, woher man kommt, wie man in Japan erreichbar sein wird … Wer keine Telefonnummern in Japan angeben kann, muß sich ein japanisches Handy mieten. Und dann muß man einen Eid leisten, daß man sich an alle (gesetzlich überhaupt nicht vorgesehenen) Auflagen halten wird, andernfalls man die Ausweisung riskiert … und dann gibt es noch einen Corona-Test, der als Spucktest durchgeführt wird. Auf das Ergebnis habe ich etwa eine halbe Stunde gewartet. Insgesamt hat dieser Teil des Hindernislaufes etwa 1 1/2 Stunden gedauert.
Laufzettel
Hat man dies erfolgreich absolviert, folgt die eigentliche Einreiseprozedur. Sie besteht in langem, geduldigem Warten, bis man endlich seine Fingerabdrücke abgeben konnte und dann am mit zwei Beamten besetzten Schalter alle Papier vorlegen darf, die man im Augenblick für die Einreise benötigt. Noch ein paar Rückfragen … und schon sind noch einmal 1 1/2 Stunden vergangen. Aber ich halte stolz meine Aufenthaltskarte (在留カード zairyū kādo) in der Hand.
Dann noch der Zoll, wie üblich der unproblematischste Teil der Reise. Ich hatte mir im Vorfeld die „Customs App“ des japanischen Zolls installiert, die als zeitsparend angepriesen worden war. In der Theorie stimmt das auch. In der Praxis muß man noch seinen Paß und den QR-Code der App selbst einscannen und wird dann durch einen eigenen „automatisierten“ Ausgang geleitet, der von zwei Beamten bedient wird, und das Ganze dauert länger, als wenn man sich ganz normal „manuell“ hätte abfertigen lassen. Wie überhaupt das gesamte Verfahren in Japan ein seltsames Patchwork aus automatisierten und manuellen Teilen darstellt. Effizient? Wohl kaum. Aber gründlich.
Und dann — endlich angekommen. Im nächtlichen Regen.
Zusammengefaßt: Morgens um 8 Uhr MEZ aus der Berliner Wohnung abgereist, am folgenden Abend um 22:30 Uhr JST = 14:30 Uhr MEZ in Japan, um 0:10 JST = 16:10 MEZ in der Wohnung. Ergibt eine Reisezeit von 32 Stunden. Danke, Corona-Virus, danke, Wladimir Putin, danke, Verdi, danke, japanische Bürokratie …
Na ja, der Rest meiner Zeit hier wird mich sicher für diese Odyssee entschädigen. Wie eigentlich immer.