Lotte Kaugummi
Foto: theimpulsivebuy

Alles begann mit Kaugummi. 1942, mit 20 Jahren, siedelte der in der Provinz Süd-Kyeongsang geborene Shin Kyukho 辛格浩 nach Japan über und begann unter dem Namen Shigemitsu Takeo 重光武雄 ein Studium an der Berufsfachschule der Waseda-Universität in Tokyo-Kokubunji. Wegen der Kriegslage wurde der Unterricht 1945 vorübergehend eingestellt. Shin begann in dieser Zeit, mit Chemikalien herumzuexperimentieren, um Handelsprodukte wie Seife und Pomade herzustellen. Dann fing die Besatzungszeit an, und Shin begegnete US-amerikanischen Soldaten, die unaufhörlich Kaugummi kauten, der in Japan noch nicht sehr verbreitet gewesen war. Shin roch die Marktlücke und begann mit der Herstellung von Kaugummi. Dafür gründete er 1948 eine eigene Firma, die er „Lotte“ nannte — nach Charlotte, der Geliebten von Goethes „Werther“.
Unter dem Werbeslogan „Die/der Geliebte deines Mundes“ (お口の恋人) fand der Kaugummi reißenden Absatz. Die Firma expandierte: Seit 1964 stellt sie auch Schokolade her.
Und sie expandierte in Shins Heimat. 1967 — zwei Jahre nach der Normalisierung der Beziehungen zwischen Japan und Südkorea — gründete sich der koreanische Ableger des Lotte-Konzerns, unter wohlwollender Zustimmung des Diktators Park Chung-Hee, dem Investitionen in sein armes Reich hochwillkommen waren. Lotte-Korea exportierte von nun an Kaugummis nach Japan.
Dort stieg Lotte ins Sportsponsoring ein, kaufte 1971 einen Baseball-Verein und wurde zu einem der größten Lebensmittelkonzerne. Dazu gehören inzwischen u.a. eine Handelsgesellschaft, drei Fastfood-Ketten (Lotteria, Burger King Japan, Krispy Kreme Doughnuts) und die Kaffeehauskette Cozy Corner.
Der koreanische Teil des Konzerns stieg unterdessen zu einem der die koreanischen Wirtschaft beherrschenden Großkonzerne (chäbeol = zaibatsu 財閥) auf. Dazu gehören u.a. eine Kaufhauskette, eine Hotelkette, eine Einzelhandelskette, eine Mietwagenfirma sowie Vertriebsunternehmen für Fujifilm und Asahi Beer, ein Versicherungs- und ein Kreditkartenunternehmen, eine Kinokette, natürlich ein Baseballteam und und und … mit rund 60.000 Angestellten.
Und das Leben könnte so schön sein für die Unternehmerfamilie (Shin ist mit einer Japanerin verheiratet), die über die 2007 gegründete, in Japan ansässige Lotte Holdings das Vermögen der Familie bewacht und vermehrt.
Theoretisch jedenfalls. Leider schrieb der Konzern wegen eines Expansionsversuches in China rote Zahlen. Daraufhin begann heftiger Streit in der Familie: Der älteste Sohn des Gründers, der als Chef der Holding fungierte, entband nun nämlich seinen Vater und seinen jüngeren Bruder von ihren Posten im Konzern. Es entspann sich ein Machtkampf um die Nachfolge des greisen Firmengründers, der von seinem ältesten Sohn als senil und unzurechnungsfähig dargestellt wird, während sein jüngerer Bruder sich weigert, seine Ablösung zu akzeptieren.
Die koreanische Öffentlichkeit erlebt nicht zum ersten Mal, daß ein die Nation bestimmender Firmenkonzern in derartige Turbulenzen gerät. Gewürzt wird die Lotte-Kontroverse jedoch durch eine antijapanische Kampagne: Im August 2015 begann eine Boykottbewegung gegen Lotte, das angeblich nur vortäusche, ein koreanischer Konzern zu sein, und in Wirklichkeit von japanischem Kapital beherrscht werde. So wurde kritisiert, daß Lotte den japanischen Eiskunstlauf-Star Asada Mao 浅田真央 für eine Werbekampagne engagiert hatte — die doch eine direkte Rivalin der Südkoreanerin Kim Yuna 金姸兒 ist.

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Lottes Fernsehwerbespot mit Asada Mao

Es wird kritisiert, daß der älteste Sohn des Firmengründers Interviews mit koreanischen Medien auf japanisch gibt, während sein jüngerer Bruder mit einem heftigen japanischen Akzent spricht. Lotte reagierte darauf, indem auf dem im Bau befindlichen Lotte Tower in Seoul eine riesige südkoreanische Flagge gehißt wurde. Auch der Verband der koreanischen Einzelhändler hat zum Boykott von Lotte aufgerufen; nicht zum ersten Mal, denn Lotte stört ihre Geschäfte. Schon 2014 wurde Lotte angegriffen, als im Lotte Hotel in Seoul ein Empfang der japanischen Botschaft zur Feier des 60-jährigen Bestehens der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte stattinden sollte. Koreas Medien kritisierten, daß dabei die Flagge der Selbstverteidigungsstreitkräfte — eine modifizierte Version der früheren japanischen Kriegsflagge — gezeigt werden sollte, was in Korea üble Erinnerungen an die Kolonialzeit wecke. Das Hotel kündigte deshalb den Empfang, sehr zum Mißfallen der japanischen Regierung. Doch der Konzern sitzt zwischen allen Stühlen. Südkorea befindet sich im August 2015 rund um die Feiern des 70. Jahrestages der Unabhängigkeit von Japan in einer nationalistischen Hysterie ohnegleichen. Es ist durchaus möglich, daß der Konzern ihr Opfer wird.
Zum Schaden Südkoreas, wie sogar die konservative Tageszeitung Chosun Ilbo feststellte: Lotte sei einer der größten Steuerzahler in Korea und garantiere alles in allem 350.000 Arbeitsplätze. Da sei es absurd zu fragen, welche Nationalität die Firmeninhaber hätten. „Steinzeitlicher Fremdenhaß“ dürfe nicht zugelassen werden.