Im Streit um die Senkaku-Inseln, deren Besitz zwischen Japan, der VR China und Taiwan umstritten ist, haben die jüngsten Ereignisse die Wahrscheinlichkeit einer bewaffneten Konfrontation erhöht. Ausgelöst wurde die Krise von der Absicht der Familie Kurihara, drei der seit 1940 unbewohnten fünf Inseln zu verkaufen. Die Kuriharas hatten sie in den 1970er Jahren von der Familie Koga übernommen, die vor dem Zweiten Weltkrieg dort Fischwirtschaft betrieben hatten. Vorzugsweise wollten die Kuriharas an den rechtsradikalen Gouverneur von Tokyo, Ishihara Shintaro, verkaufen, der ihnen versprochen hatte, die bislang wegen der internationalen Verwicklungen auf Eis gelegte Erschließung der Inseln voranzutreiben. Die nationale Regierung ist Ishihara zuvorgekommen, um das Schlimmste zu verhüten — seit 11. September 2012 sind die Inseln verstaatlicht.
Diese Verstaatlichung ändert allerdings nichts daran, daß Japan die Inseln seit 1895 als Teil seines Territoriums betrachtet. Nach der chinesischen Kriegsniederlage gegen Japan hat China dies auch akzeptiert. Die japanische Kapitulation von 1945 veränderte freilich die Lage, weil in der Potsdamer Deklaration, reichlich unspezifisch, davon die Rede war, das Territorium Japans auf seine Hauptinseln plus X zu beschränken. Bis 1972 standen die Inseln unter US-Verwaltung.
Immer wieder kam es seither zu Konfrontationen, seit klar ist, daß es hier nicht nur um Fischereirechte, sondern auch um die Erschließung unterirdischer Energieressourcen geht. Japans Küstenwache hat bislang zivile und militärische Eindringlinge abwehren können. 2010 rammte dabei ein chinesisches Fischerboot mit voller Absicht ein Küstenwachboot. Im Juli 2012 hißten chinesische Aktivisten die Flagge der VR China; Taiwans Küstenwache gab ihnen Geleitschutz und wehrte auch japanische Wachboote ab. Im August 2012 kamen neue Aktivisten aus Hong Kong und hißten beide chinesische Flaggen. Daraufhin drangen wiederum japanische Aktivisten auf die Inseln, deren Betreten nur mit Genehmigung der Nationalregierung möglich ist, vor und zogen japanische Flaggen auf.
Anfang September nannte ein hoher chinesischer Regierungsbeamter es das gute Recht der Chinesen, japanische Waren zu boykottieren. Mitte September begannen in der VR China unzählige Übergriffe gegen japanische konsularische Vertretungen und japanische Autos. Japanischen Schulklassen wurde empfohlen, auf Besuche in China zu verzichten; Japans Regierung riet, in der chinesischen Öffentlichkeit nicht Japanisch zu sprechen, um nicht Opfer von Gewalttaten zu werden. China hat jetzt den Vereinten Nationen mitgeteilt, die Inseln würden offiziell als Teil der chinesischen Hoheitsgewässer betrachtet.
Von einer Deeskalation sind keine Spuren zu finden. Japan hat seinen als zu chinafreundlich betrachteten Botschafter zurückgerufen und ersetzt. Freilich ist der Ersatzmann, bevor er entsandt werden konnte, in Tokyo auf offener Straße zusammengebrochen. In den kommenden japanischen Parlamentswahlen ist die Stärkung rechter Parteien zu erwarten; der Bürgermeister von Osaka, dem große Chancen zugerechnet werden, die bisherige Parteienlandschaft umzukrempeln, spuckt genauso nationalistische Töne wie der wahrscheinliche neue Parteichef der oppositionellen Liberaldemokraten, der Sohn von Ishihara Shintaro.
Japan wird auf die Senkaku-Inseln weder verzichten wollen noch können. Die Konsequenz aus dem zunehmend aggressiven Verhalten der beiden Chinas wird sein müssen, sich auf die notfalls gewaltsame Verteidigung seiner Ansprüche einzustellen. Gerade im sich ankündigenden Wahlkampf wird sich dies zeigen. Für Japans stark mit dem Kontinent verflochtene Wirtschaft bedeutet diese Zuspitzung allerdings nach den Schäden durch das Erdbeben von 2011 eine neue, schwer zu verkraftende Herausforderung — zumal Japan, in diesem Falle allerdings unnötigerweise, durch den gleichzeitig wieder entflammten Konflikt mit Südkorea wegen Takeshima/Dokdo auch nicht auf südkoreanische Solidarität zählen kann. Japan steht mit dem Rücken zur Wand.