Der direkte Zugverkehr von Sendai bis Ishinomaki 石巻 ist bei Matsushima 松島 unterbrochen. Ein Ersatzbus fährt die Fahrgäste bis Yamoto 矢本, vorbei an sichtbar ramponierten Eisenbahngleisen und zerstörten Gebäuden in und um Higashimatsushima. Von Yamoto aus geht es weiter mit dem Zug. Der Schienenersatzverkehr bringt eine halbe Stunde Verspätung. Die alternative Verbindung mit Umsteigen in Kogota 小牛田 funktioniert zwar, ist aber nicht schneller und vor allem doppelt so teuer.
Ein fauliger Geruch liegt über der Stadt; nicht übermäßig penetrant, aber doch unangenehmer, als in einer Fischfang betreibenden Hafenstadt zu erwarten wäre.
Auf beiden Ufern des Flusses, der sich durch die Stadt zieht, hat der Tsunami die Wohngebiete überflutet. Im Stadtzentrum erreichte er noch 1,60 m Höhe. D.h., vielerorts stand das gesamte Erdgeschoß unter Wasser. An den Schmutzrändern der Hauswände läßt sich der Wasserstand leicht ablesen. An vielen Kreuzungen regeln immer noch unermüdlich Polizisten den Verkehr, weil die Stromleitungen der Verkehrsampeln durch den Tsunami zerstört wurden. In den Häusern, die nach der Katastrophe unbewohnbar geworden sind, liegt trockener Schlamm, der wohl für den üblen Geruch in der Luft hauptverantwortlich ist. Baulücken klaffen, wo bereits alle Überreste beseitigt sind. Aber noch bleibt viel zu tun.
Eine der Attraktionen der Stadt ist ein Mangamuseum. Es ist genauso geschlossen wie die alte orthodoxe Kirche direkt daneben. Der Holzbau der Kirche ist ruiniert. Das Museum sieht intakt aus. Vor seinem Eingang hängen Holztafeln, auf die Besucher ihre Grüße und Wünsche schreiben können.
In der Grundschule, die in meinem Buch abgebildet ist, leben immer noch 120 Menschen, die ihr Heim verloren haben; darunter viele Kinder. Auf dem Schulhof ist ein provisorisches japanisches Bad eingerichtet. Verpflegung gibt es in der Sporthalle. Viele freiwillige Helfer kümmern sich um die Essenausgabe und leisten andere Hilfe.
Ein Friseur, dessen Laden als einziger in seiner Straße wieder geöffnet hat, ist auf die Obdachlosen nicht gut zu sprechen. „Es ist Zeit, sich wieder auf die eigenen Beine zu stellen. Schließlich gibt es jetzt ja auch Behelfswohnungen.“ Er selbst lebt jetzt im Obergeschoß seines Hauses — sein Friseursalon im Erdgeschoß ist notdürftig wiederhergerichtet.
Doch sieht man auch selbstgemalte Plakate mit Danksagungen an die freiwilligen Helfer und dem Versprechen: „Wir Leute von Ishinomaki helfen auch mit.“ Die Menschen wirken freundlich, geduldig, aber auch geschäftig. Ein Musikinstrumentenhändler säubert die Schlegel eines Klaviers. 35 Klaviere, sagt er und zeigt dabei auf seinen Ausszellungsraum, hat die Flut ruiniert.
Die Straße vor seinem Geschäft weist notdürftig mit Asphalt gefüllte, unregelmäßige Vertiefungen auf. An anderen Stellen ragen Gullydeckel 20 cm aus der Straße heraus. Die Unterkanten von Hauspfosten schweben in derselben Höhe über dem Untergrund. Manche Häuser sind zwar äußerlich heilgeblieben, stehen aber völlig schief. Denn die Erde hat sich nicht nur kurzfristig bewegt. Sie hat sich gesetzt; sie ist gesunken. Den Menschen von Ishinomaki ist buchstäblich der Boden unter ihren Füßen weggezogen worden.
Die Grundschule in Ishinomaki dient immer noch als Sammelinterkunft.
Viele zerstörte Häuser warten noch auf ihren Abriß.
Private Erinnerung an eine ausgelöschte Familie.
Selbstverfaßter Dank an die Freiwilligen.