Von der Turmuhr des alten Zollgebäudes am Bund, der Promenade in Shanghai, schallt viertelstündlich die Melodie des kommunistischen Kampfliedes „Der Osten ist rot“ herüber. Derweil wird im ehemaligen Mitsubishi-Gebäude (nach dem Bürgerkrieg vorübergehend selbst Sitz der Shanghaier Stadtverwaltung) ein paar Straßenzüge weiter erlesene westliche und chinesische Küche im „luxury club“ Lan serviert — ein Restaurant, das sich selbst als „artistic space“ auf 500 Quadratmetern preist und dessen Ambiente in der Tat sehenswert ist. Für die Innenarchitektur zeichnen zwei französische Designer verantwortlich. Stilisierte chinesische Kunst und raffinierte Lichtführung gibt den einzelnen Geschossen ihren eigenen Charakter. Doch die Bankethalle im 3. Stock dominiert ein chinesisches Gemälde des als „Maler des gesellschaftlichen Umbruchs“ apostrophierten Liou Shiaodung (劉小東, Liu Xiaodong), das es in sich hat — nicht nur wegen des Preises von fast 3 Millionen US-Dollar, den das Restaurant hierfür beglich (der höchste Preis, der bislang für ein chinesisches zeitgenössisches Gemälde bezahlt wurde): Es trägt den Titel „Migrants of the Three Gorges“ und stellt nichts anderes dar als obdachlose Chinesen, die wegen der Errichtung des Drei-Schluchten-Dammes aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Als stumme Gäste schauen sie ihren begüterten Landsleuten also beim Schlemmen zu. Wohl bekomm’s.