Das Jahr 2022 war voller Denkwürdigkeit und voller Geschehnisse, die besser unterblieben wären. Unsere Gegenwart hat uns hinreichend beschäftigt. Dennoch gab es auch zahlreiche Anlässe zum Nachdenken über die Vergangenheit. Der Krieg in der Ukraine hat mir gezeigt, wie wichtig es wäre, über die Geschichte Osteuropas mehr zu wissen; ein Gebiet, über das ich im Geschichtsstudium immerhin einige Veranstaltungen besucht habe. Aber das verhängnisvolle 20. Jahrhundert kam darin nicht vor. Insbesondere die Geschichte des Ersten Weltkrieges verdient mehr Aufmerksamkeit. Ein Zufallsfund bei einem Postkartenhändler hat mir gezeigt, daß dies sogar für mein eigenes Spezialgebiet gilt. Denn die Existenz der folgenden beiden Bildpostkarten von 1915 und 1916 belegt eine erstaunliche Episode in den deutsch-japanischen Beziehungen:

Deutsche Pioniere gruben demnach aus Unterständen bei Grodno in Weißrußland ein schweres japanisches Festungsgeschütz aus. Daß es aus Japan stammte, erhellt aus der Inschrift auf der dazugehörigen Munitionskiste:

二十八糎 榴弾砲 砲董要具箱 („28-cm-Haubitze Artillerie-Kasten“)

Solche Haubitzen wurde von der japanischen Armee zwischen 1892 und 1939 eingesetzt. 1914 halfen sie den Japanern bei der Belagerung der deutschen Kolonie Qingdao. Kurze Zeit später wurden 24 Exemplare der russischen Armee überlassen, die sie zur Abwehr des deutschen Angriffs einsetzte. Auf belorussischem Boden fiel eine davon 1915 in die Hände der Deutschen. Obwohl Rußland und Japan erst 10 Jahre zuvor einen erbitterten Krieg gegeneinander geführt hatten, versorgte Japan im Ersten Weltkrieg die Russen mit Gewehre und Geschützen; natürlich gegen Bezahlung. Aber das ist ja eine der traurigen Tatsachen jedes Krieges: Es gibt stets Menschen, die daran verdienen — einer der wesentlichen Gründe dafür, warum es Kriege überhaupt gibt.