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Der Kaiser, die Koreaner und keine Aussicht auf Besserung

Vielleicht war es gut gemeint, als Mun Hŭisang 文喜相, politischer Veteran, Mentor des südkoreanischen Staatspräsidenten Mun Jäin und Sprecher des südkoreanischen Unterhauses, in einem Interview am 7. Februar vorschlug, der gegenwärtige japanische Kaiser Akihito solle vor seinem Thronverzicht nach Südkorea reisen und sich dort bei den noch lebenden ehemaligen „Trostfrauen“ entschuldigen — mit einer solchen Geste könne der Dauerstreit zwischen Korea und Japan in dieser Frage ein für allemal erledigt werden. Schließlich sei der Kaiser „Sohn des Hauptkriegsverbrechers“. Alle bisherigen japanischen Entschuldigungen (auch Akihito selbst äußerte bereits 1990 „tiefes Bedauern“ über die Kolonialzeit) wögen weniger als das, was deutsche Politiker nach 1945 an Abbitte geleistet hätten.
Als die japanischen Reaktionen auf dieses Interview jedoch heftig und scharf ausfielen, versuchten beide Seiten zunächst die Wogen zu glätten. Japans Außenminister Kōno Tarō 河野太郎 gab am 10. Februar auf einer Pressekonferenz bekannt, Muns Büro habe versichert, er sei falsch verstanden worden, und forderte die koreanische Seite auf, „sich von jetzt an mit sorgfältigem und korrektem Verständnis zu äußern.“ Doch die Dinge gerieten außer Kontrolle, wie zu erwarten war. Denn Kritik an ihrem Kaiser nehmen japanische Politiker traditionell nicht gut auf. Zudem glaubt man in Japan, seit Südkoreas Regierung die 2015 verabredete „endgültige Lösung“ der Trostfrauenfrage de facto widerrufen hat, nicht mehr an die Dauerhaftigkeit südkoreanischer Versprechungen. Japans Ministerpräsident Abe Shinzō 安倍晋三, der auf koreanische Vorhaltungen „stets emotional reagiert„, verlangt eine Entschuldigung von Mun, was dieser ablehnt, weil er in dieser Frage nichts anderes gesagt habe als seit zehn Jahren.
Mag ja sein. Nur haben sich die Beziehungen zwischen Japan und Korea im letzten Jahrzehnt an etlichen Punkten verändert. Man kann durchaus sagen, wie es in einem Hintergrundbericht der konservativen Joongan Ilbo 中央日報 heißt, daß die japanisch-koreanischen Beziehungen „so schlecht wie noch nie nach dem Krieg“ sind. Dies liegt, so der Bericht weiter, vor allem daran, daß es kaum noch diplomatische Kanäle gibt, auf denen die bestehenden Konflikte gelöst werden, bevor sie publikumswirksam verstärkt werden. Dem gegenwärtigen südkoreanischen Botschaft in Japan Yi Suhun 李洙勲 wird vorgeworfen, er suche zu wenig Kontakt zur japanischen Regierung. Auf japanischer Seite hat Ministerpräsident Abe immer häufiger die Außenpolitik unter Umgehung des Außenministeriums an sich gezogen. Den Kontakt zu Korea halten im wesentlichen sein Sicherheitsberater Yachi Shōtarō 谷内正太郎, der allerdings inzwischen als frustriert gilt, und Kabinettsminister Suga Yoshihide 菅義偉, der als Sprecher der Regierung die häufig heftigen Ausbrüche Abes diplomatisch einzufangen versucht. Aber auch Suga verlangte von Mun eine Entschuldigung für seine Äußerung über den Kaiser. Am 12. Februar wurde der LDP-Veteran Nukaga Fukushirō 額賀福志郎 als Vorsitzender der japanisch-koreanischen Parlamentariergruppe nach Seoul geschickt, um mit dem südkoreanischen Ministerpräsidenten Yi Nagyŏn über die „verschlechterten Beziehungen zwischen Südkorea und Japan“ zu sprechen. Das Gespräch blieb offiziell ohne eine Annäherung der Standpunkte. Außer der Äußerung über den Kaiser ging es dabei vor allem um das Urteil des Obersten Gerichtshofes gegen japanische Unternehmen, das für erheblich Unruhe und Verärgerung in Japan gesorgt hat.
Die Mehrheit des Obersten Gerichtshofes kam am 30. Oktober 2018 hinsichtlich der Klage von Hinterbliebenen koreanischer Zwangsarbeiter gegen die Rechtsnachfolger japanischer Unternehmen zu folgendem Urteil:

Die Kläger sind Opfer, welche unter Mißachtung ihrer Würde und Werte als Menschen zwangsweise für illegale und teilweise inhumane Aktivitäten japanischer Unternehmen mobilisiert wurden, die in direktem Zusammenhang mit der illegalen kolonialen Herrschaft der japanischen Regierung über die koreanische Halbinsel und dem Verfolg eines Invasionskrieges standen, und denen unterschiedliche Arbeiten abverlangt wurden. Sie konnten keine seelische Wiedergutmachung erhalten und leiden immer noch. Die Regierungen Südkoreas und Japans haben die seelischen Leiden der Opfer der Zwangsarbeit übermäßig ignoriert und ein Abkommen über Wiedergutmachungsansprüche geschlossen, ohne jede Anstrengung zu unternehmen, diese Sachverhalte auch nur zu untersuchen oder zu bestätigen. Die Verantwortung dafür, daß das Abkommen über Wiedergutmachungsansprüche die Ansprüche der Zwangsarbeit auf Schmerzensgeld nicht klar regelt, liegt bei den damals für den Abschluß dieses Abkommens Verantwortlichen. Sie darf nicht auf die Opfer abgewälzt werden.

Japan sieht darin einen Verstoß gegen den japanisch-koreanischen Grundlagenvertrag von 1965, in dem sämtliche Entschädigungsfragen nach seiner Auffassung endgültig geregelt wurden. Während die südkoreanische Regierung auf dem Standpunkt steht, es handele sich um ein Problem der betroffenen japanischen Unternehmen und nicht um eine Vertragsfrage, hat Japan Südkorea zur Einleitung eines Schlichtungsverfahrens aufgefordert, das im Grundlagenvertrag vorgesehen ist. Auf ein solches Ansinnen müßte Südkoreas Regierung binnen 30 Tagen reagieren. Sie hat es jedoch nicht getan, weshalb die japanische Regierung wiederum aufgebracht ist; es droht nun eine japanische Klage vor dem Internationalen Gerichtshof.
All dies führt tatsächlich zu dem Schluß, den auch die koreanische Joongan Ilbo zieht:

Für die japanisch-koreanischen Beziehungen gibt es keine Anzeichen einer Verbesserung.

Die USA, die traditionell eine Mittlerrolle zwischen den beiden streitenden Nachbarn gespielt haben, erfüllen diese Funktion seit Amtsantritt von Präsident Donald Trump kaum noch. Eine überparteiliche Gruppe von Senatoren und Abgeordneten strebt deshalb jetzt im US-amerikanischen Parlament die Verabschiedung einer Erklärung an, welche „starke Bande zwischen den drei Ländern“ einfordert.
Doch am 1. März 2019 jährt sich der Aufstand koreanischer Intellektueller gegen die japanische Herrschaft zum 100. Mal. Die sogenannte „Manse“-Bewegung wurde seinerzeit von japanischer Polizei brutal unterdrückt. Es ist damit zu rechnen, daß das Jubiläum auf koreanischer Seite zu einer neuen Welle antijapanischer Emotionen führen wird. Mehrere japanische Intellektuelle, darunter der Historiker Wada Haruki 和田春樹 und die Soziologin Ueno Chizuko 上野千鶴子, forderten deshalb Japans Öffentlichkeit dazu auf, sich ernsthafter mit der koreanischen Sichtweise auseinanderzusetzen. Der Schlußsatz der „Erklärung japanischer Bürger und Intellektueller für 2019“ verweist auf die Unabhängigkeitserklärung der koreanischen Intellektuellen von 1919:

Wir müssen auf diese große, überzeugende Stimme des koreanischen Volkes hören und für den Frieden im Orient, für den Frieden in Nordostasien, auf der Grundlage von Selbstkritik und Entschuldigung für die Kolonialherrschaft, den Weg des gegenseitigen Verständnisses zwischen Japan und Südkorea und Japan und Nordkorea sowie der gegenseitigen Hilfe beschreiten.

Diese Erklärung wurde am 6. Februar verkündet; die Äußerungen Muns vom darauffolgenden Tag konterkarierten diese Aktion völlig. Schlechte Zeiten also für die Stimme der Vernunft.