Gegen den Widerstand der parlamentarischen Opposition und zum Entsetzen vieler Rechtsgelehrter (einschließlich der japanischen Anwaltskammer 日本弁護士連合会 Nihon Bengoshi Rengōkai) hat die regierende Koalition unter Leitung von Ministerpräsident Abe Shinzō 安倍晋三 im japanischen Reichstag ein Gesetz durchgedrückt, das den Begriff der Verschwörung als Straftatbestand (共謀罪 kyōbōzai) völlig neu definiert — und vor allem ohne Not den im japanischen Rechtssystem bislang unbekannten Begriff des „offenen Aktes“ (overt act) aus dem angelsächsischen Recht importiert. Mit dem neuen Gesetz wird es daher möglich sein, beispielsweise das unerlaubte Sammeln von Pilzen zu bestrafen.
Die Regierung behauptet, das Gesetz sei nötig, damit Japan sich dem 2000 von den Vereinten Nationen beschlossenen Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Palermo-Konvention) anschließen könne. Japan hat dieses Übereinkommen zwar bereits 2000 unterzeichnet, bislang aber noch nicht ratifiziert. Bedingung der Ratifizierung sei die Umsetzung in nationales Recht. Außerdem rechtfertigt die Regierung das Gesetz als Anti-Terror-Maßnahme; der Name des Gesetzes lautet entsprechend „Gesetz über Offene Akte von Terrorismus und anderem“ (テロ等準備罪法 Tero tō Junbizai Hō).
Das jetzt verabschiedete Gesetz geht auf einen Entwurf zurück, der bereits seit 2005 mehrfach ins Parlament eingebracht, aber wegen des Widerstands der damaligen Opposition zurückgezogen wurde. Der Entwurf enthielt nicht weniger als 615, später sogar 676 einzelne Straftatbestände, bei deren Vorliegen eine strafbare Verschwörung definiert werden sollte. Diese Zahl wurde nun auf 277 reduziert, weil diese Aufblähung des Verschwörungsbegriffs selbst der mitregierenden Kōmeitō-Partei zu viel wurde.
Die Regierung behauptet, „normale“ Menschen hätten von dem Gesetz nichts zu befürchten; es richte sich ja gegen organisierte Kriminalität. Allerdings wird die Schwelle so niedrig angesetzt, daß dies schon zu Befürchtungen Anlaß geben kann.
Die Palermo-Konvention verlangt von den Vertragsstaaten (das sind fast alle Staaten der Welt) tatsächlich, sicherzustellen, „dass ihr innerstaatliches Recht alle schweren Straftaten erfasst, an denen organisierte kriminelle Gruppen mitwirken“ (Art. 5,3). Sie versteht unter

„organisierte kriminelle Gruppe“ eine strukturierte Gruppe von drei oder mehr Personen, die eine gewisse Zeit lang besteht und gemeinsam mit dem Ziel vorgeht, eine oder mehrere schwere Straftaten oder in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen umschriebene Straftaten zu begehen, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen

(Art. 2), und sieht als strafwürdig

die Verabredung mit einer oder mehreren Personen zur Begehung einer schweren Straftat zu einem Zweck, der unmittelbar oder mittelbar mit der Verschaffung eines finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils zusammenhängt, und, soweit es das innerstaatliche Recht verlangt, bei der einer der Beteiligten eine Handlung zur Förderung dieser Verabredung vornimmt oder bei der eine organisierte kriminelle Gruppe mitwirkt

(Art. 5,1), an.
Soweit der internationale Rahmen, der im übrigen konkret auf Geldwäsche, Korruption, Waffen- und Menschenhandel gemünzt ist.
Aber nun kommt das Japanisch-Spezifische, und das schießt in merkwürdiger Weise über diese Ziele (in denen Terror ursprünglich gar nicht erwähnt wird) hinaus. Eine Verschwörung wird nun in Japan definiert als Verabredung unter mindestens zwei Personen, deren Vorliegen bereits als erwiesen gilt, wenn eine der Personen „offene Akte“ (準備行為 junbi kōi) vornimmt, welche die Durchführung der Verschwörung befördern sollen. Dazu ist es gar nicht nötig, daß alle Verschwörer diesen sogenannten „offenen Akten“ ausdrücklich zugestimmt haben; ihre „schweigende Zustimmung“ reicht den Strafverfolgungsbehörden in Zukunft zur Beweisführung aus.
Da Planung, Vorbereitung und Versuch von Schwerverbrechen bislang schon unter Strafe standen, ist die Zuweisung der „offenen Akte“ zum Verbrechen der Verschwörung das eigentlich Neuartige.
Die neu definierten 277 „offenen Akte“ gehören dabei zu den fünf Kategorien Terror, Drogenhandel, Kinderarbeit, Finanzierung und Behinderung der Justiz. Konkret können dies sein: Brandstiftung, Mord, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Entführung, Raub, Diebstahl, Betrug, Erpressung, Verstöße gegen das Sprengwaffengesetz (also beispielsweise Fußballfans?), sexuelle Ausbeutung von Kindern, Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie usw. Ausgenommen sind ausdrücklich (und trotz heftiger Kritik der Opposition) illegale Parteispenden und politische Korruption, weil die Regierung sich nicht vorstellen kann, daß organisierte Kriminelle so etwas planen könnten! (Kein Witz, so hat die Regierung tatsächlich argumentiert!) Aber wenn jemand beispielsweise in einem Staatswald illegal Pilze sammeln geht, um damit Geld zu verdienen, mit dem eine Verschwörung finanziert werden soll, so ist auch dies ein „offener Akt“.
Liegt der Verdacht einer Verschwörung vor, darf die Polizei ermitteln, wo auch immer es ihr angemessen erscheint: Hausdurchsuchungen, Einsicht in Bankkonten und Kreditkarten, Überwachung des Email-Verkehrs usw.
In der öffentlichen Meinung und bei den Rechtsexperten überwog die Ablehnung dieser grundstürzenden Rechtsreform bei weitem. Auch der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Joe Cannataci, drückte in einem Schreiben an Abe Shinzō seine Sorge aus, das Gesetz könne „zu unstatthaften Einschränkungen der Rechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit“ führen. Wie üblich, hat dies die Regierungskoalition nicht daran gehindert, von ihrer parlamentarischen Mehrheit Gebrauch zu machen. Ob der japanische Rechtsstaat hiermit nachhaltig beschädigt wurde, wird sich wohl schon bald erweisen.