In irgendeinem Mantel-und-Degen-Film aus Hollywood gab der Held einmal in voller action die folgende Lebensweisheit kund:

Wer verliert und flieht von hinnen, kann ein andermal gewinnen.

Das ist nicht sehr tapfer, aber auch nicht die schlechteste Strategie zum Überleben. Noch besser ist vielleicht nur, sich gar nicht zum Kampf zu stellen, wenn es an Siegeszuversicht fehlt.
Diese Strategie kultivieren zur Zeit Schüler und Studenten diesseits und jenseits des Pazifiks in großer Meisterschaft: Man meldet sich (oder wird eingeteilt) für ein Referat — und kurz vor der Stunde, in der man es halten soll, meldet man sich krank. Per Email oder SMS. Jede Nachfrage ist damit unmöglich, die Stunde so gut wie geplatzt.
Die Japaner haben für diese Blitzabsage ein hübsches neues Wort erfunden: dotakyan ドタキャン. Das ist eine Abkürzung aus dotanba kyanseru. Kyanseru kommt natürlich aus dem Englisch (to cancel). Dotanba 土壇場 ist ein sehr viel interessanteres Wort. So nannte man nämlich in der Edo-Zeit (1600-1867) die öffentliche Hinrichtungsstätte, ein aus Erde (土) aufgeschüttetes Podium (壇); dort wurden die Leichen der Hingerichteten zur Schau gestellt.
Dotanba
Das Wort wurde im Sinne von Galgenhumor dann auch auf die Theaterbühne übertragen, auf der schlechte Schauspieler ja zumindest symbolisch auch mit ihrer Hinrichtung durchs Publikum rechnen müssen. Wenn sich dann ein Schauspieler kurz vor Beginn einer Aufführung vor dem drohenden Debakel drückte und wegen „Unpäßlichkeit“ absagte, dann lag die Neuwortprägung dotanba kyanseru nahe.
Aus der Welt der Schauspieler ist das Wort sozusagen in der Alltagswelt angekommen: TV-Stars, die eine Liveshow kurzfristig stornieren; Sportler, die aus Angst vor einer Dopingkontrolle einen Unfall verursachen; Politiker, die einen öffentlichen Auftritt wegen einer Erkältung absagen; und nun eben Schüler und Studenten, denen nicht wohl ist angesichts einer drohenden Blamage im Unterricht …
Da lag es nahe, auch den Begriff zu verkürzen, mit dem man diesen Eskapismus beschreibt. In ein paar Jahren wird sich niemand mehr daran erinnern, was dotanba kyanseru eigentlich bedeutete: Feigheit vor dem Feind. Weil es dann eine allgemein akzeptierte soziale Praxis geworden sein wird. Wenn als Konsequenz dann auch richtige Kriege kurzfristig abgeblasen werden, kann man es noch nicht einmal übelnehmen.