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Merkel in Japan: Dezente Ratschläge gegen das Vergessen

Merkel in Japan
Das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 9.11. bei ihrem Vortrag in Tokyo wörtlich:

Zerstörung und Wiederaufbau, das sind Schlagworte, die dieses Jahr 2015 noch in einer weiteren Weise prägen und zwar im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren. Um mit den Worten des vor wenigen Wochen verstorbenen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu sprechen: Das Kriegsende in Europa, der 8. Mai 1945, das war ein Tag der Befreiung. Der Befreiung von der Barbarei des Nationalsozialismus, den Schrecken das von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs und dem Zivilisationsbruch der Shoah.
Wir Deutschen werden nie vergessen, dass uns nach all dem Leid, das von unserem Land über Europa und die Welt gebracht wurde, die Hand zur Versöhnung gereicht wurde. Wir können uns glücklich schätzen das der damals jungen Bundesrepublik viel Vertrauen entgegengebracht wurde. Und nur so konnte uns der Weg zurück in die Weltgemeinschaft gelingen.
Vertrauen war es auch, das uns vier Jahrzehnte später nach dem Berliner Mauerfall und dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation 1989/1990 den Weg zur Einheit ebnete, zur Deutschen Einheit.
Und heute, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges können wir in Deutschland ebenso wie in Japan auf eine beachtliche Entwicklung zurückblicken.

Von einem japanischen Journalisten auf die Vergangenheitsbewältigung in Ostasien angesprochen, fügte sie hinzu:

Deutschland hatte dies große Glück, dass wir wieder aufgenommen wurden in die Gemeinschaft der Völker nach den schrecklichen Erfahrungen, die die Welt mit Deutschland ja machen musste während der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust.
Und wie ist das möglich gewesen? Ich glaube, es ist möglich gewesen einmal, weil sich Deutschland auch der Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit gestellt hat. Allerdings auch weil die Alliierten, die damals Deutschland ja auch kontrolliert haben nach dem Zweiten Weltkrieg, sehr viel Wert auf diese Aufarbeitung gelegt haben. Wenn ich an Gerichtsverfahren denke, wie die Nürnberger Prozesse zum Beispiel. Und weil Europa insgesamt aus den jahrhundertelangen Kriegen doch gelernt hat.
Und zu den großen Taten und großen Schritten damals gehörte vor allen Dingen die deutsch-französische Versöhnung, die heute als deutsch-französische Freundschaft bezeichnet werden kann. Und dazu haben Franzosen genauso Beiträge geleistet wie Deutsche. Und man hat von einer Erbfeindschaft früher gesprochen. Also das ist ein schreckliches Wort, das praktisch von Generation zu Generation diese Feindschaft vererbt wurde.
Und glücklicherweise gab es eben großartige Persönlichkeiten, die gesagt haben, da gehen wir einen Schritt aufeinander zu. Aber das war alles andere als selbstverständlich für alle Seiten. Und ohne diese großen Gesten auch unserer Nachbarn wäre das alles nicht möglich gewesen, aber auf der anderen Seite gab es eben auch eine Bereitschaft in Deutschland die Dinge beim Namen zu nennen.
Es ist sehr schwer für mich jetzt als deutsche Bundeskanzlerin ihnen hier für ihre Region Ratschläge zu geben, das möchte ich auch nicht tun, das muss aus einem gesellschaftlichen Prozess heraus kommen. Die Geschichte zeigt, wenn man von außen Ratschläge bekommt, fällt es manchmal noch schwerer selber etwas zu tun.

Der Vortrag fand nicht ohne Hintersinn in der Festhalle der von der gegenwärtigen japanischen Regierung und ihren Parteigängern heftig kritisierten Zeitung Asahi Shinbun statt; wie keine andere Zeitung hat sie sich bisher darum verdient gemacht, Japans Vergangenheit in der politischen Diskussion wachzuhalten.
Zum Vortrag hatte die Asahi Shinbun, wie in Japan üblich, öffentlich eingeladen und die 500 Sitzplätze unter den Bewerbern verlost. Bewerben konnte sich jeder Leser, der des Deutschen mächtig ist. Trotz dieser Bedingung war das Interesse enorm: 7.500 Bewerbungen gingen ein!