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Das Fährunglück: Eine koreanische Analyse

Anders als in japanischen Medien häufig zu beobachten, setzen sich südkoreanische Medien häufig schonungslos kritisch mit den Vorgängen in ihrem eigenen Land auseinander. Dies zeigt sich auch wieder im Fall der am 16. April auf dem Weg von Incheon nach Jeju nahe der Insel Jindo gesunkenen Fähre Sewol 세월. Ein Bericht der Chosun Ilbo vom 24.4. zählt das Geflecht von Versäumnissen und Fehlern auf, das zur Katastrophe mit rund 190 Toten und Vermißten führte. Sie betreffen das Schiffsmanagement und das Krisenmanagement zu See und an Land. Da das Schiff noch nicht geborgen und sein Rumpf nur vorläufig untersucht wurde, steht die eigentliche Ursache des Unglücks noch nicht fest. Wohl aber lassen sich nach Meinung der Tageszeitung Gründe finden, welche die Katastrophe beförderten:

So identifiziert die Redaktion erschreckendes, tödliches mehrfaches Versagen auf den unterschiedlichsten Seiten — Reederei, Mannschaft, Behörden, Gesellschaft. Es klingt wie eine Bilanz, wenn es in dem Artikel auch heißt:

Viele glauben, daß dieses Desaster auf größere Probleme in der koreanischen Gesellschaft hinweist, die materiellen Gewinn prämiert.

Diese moralisierende Argumentation ist natürlich Teil des konservativen Weltbildes, dem die Zeitung anhängt. Nach dem großen Ostjapanischen Erdbeben 2011 gab auch der damalige Gouverneur von Tōkyō und rechtsextreme Politiker Ishihara Shintarō der „Gier“ in der japanischen Gesellschaft die Hauptverantwortung an dem tragischen Unglück. Dies ist nicht weit entfernt von linker Kapitalismuskritik. Freilich fehlt jeder Beweis dafür, daß es in weniger materiell eingestellten Gesellschaften, seien sie links oder rechts beherrscht, zu weniger tragischen Unfällen und Unglücken kommt. Gewissen und Verantwortungsbewußtsein sind weder links noch rechts. Jede Gesellschaft, in denen sie gefördert und belohnt werden, kann sich glücklich schätzen.