Der Besuch eines ranghohen chinesischen Funktionärs hat in Taiwan die Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit der Insel verschärft. Während der erst seit kurzer Zeit amtierende Präsident Ma und seine Nationalistische Partei (GMD/KMT) den Abschluß von Verkehrs- und Handelsvereinbarungen mit der Volksrepublik als Chance priesen, die internationale Isolation Taiwans zu beenden, erblickte das „Grüne Lager“ der Unabhängigkeitsbefürworter unter Oppositionschefin Tsai in dem Verhalten Mas einen Ausverkauf Taiwans. Ma akzeptierte, daß ihn der chinesische Abgesandte nicht als Präsident, sondern als „Herr Ma“ anredete; er akzeptierte, daß es „ein China mit verschiedenen Regionen“ (darunter eben auch Taiwan) gebe; und er ließ das Zeigen von taiwanischen Flaggen entlang der Route des Besuchers verbieten. Hinzu kommt, daß er zum offiziellen Vertreter Taiwans bei der anstehenden APEC-Konferenz einen Mann bestimmt hat, der das sogenannte Sezessionsgesetz der Volksrepublik (in dem Taiwan für den Fall einer Sezession mit Krieg gedroht wird) befürwortet hat.
Die Opposition rief gegen diese Politik die Straße zur Hilfe: Massendemonstrationen, Studentenproteste, Blockaden der Hotels, in denen sich der chinesische Delegierte aufhielt, und teils blutige Straßenschlachten mit der Polizei waren die Folge. Journalisten beklagten gravierende Einschränkungen ihrer Arbeit und befürchten, daß die junge taiwanische Demokratie diesem Konflikt zum Opfer fällt. Inzwischen kursiert das Gerücht, Taiwan werde sich binnen vier Jahren mit der Volksrepublik vereinigen.