Schon im November 2012 ist Mandarake, eine Ladenkette, die in Ostjapan durch den Verkauf von gebrauchten Manga, Anime und dazugehörigen Fanartikeln Kultstatus erlangt hat (Jahresumsatz 2011-2012: 8,6 Mrd. Yen = 68 Mio. Euro, Gewinn: 730 Mio. Yen = 5,8 Mio. Euro), wegen illegaler Arbeitsbedingungen gerichtlich zu Schadenersatz verurteilt worden. Geklagt hatte eine Angestellte des Unternehmens, die 2007 eingestellt worden war. Jetzt liegt die Urteilsbegründung vor, aus der interessante Details über die Ausbeutungspraxis in dieser Branche hervorgehen.
Die Klägerin war keine Aushilfskraft, sondern fest angestellt. Ihr Arbeitsvertrag sah folgende Bedingungen vor:

  • Zwei arbeitsfreie Tage pro Woche (je nach Schicht wechselnd)
  • 10 Tage bezahlter Urlaub pro Jahr
  • 210.000 Yen (ca. 1.670 Euro) Grundgehalt (jährliche Lohnsteigerungen vorgesehen)
  • Arbeitszeit von 12 bis 21 Uhr (mit 60 Minuten Mittagspause)
  • 25 % Überstundenzuschlag
  • 35 % Feiertagszuschlag

Freilich war dieser Vertrag in der Praxis Makulatur. Das Business Journal faßt die tatsächlichen Arbeitsbedingungen in einem Artikel von Sasaki Keiichi vom 29.1. wie folgt zusammen:
Die Angestellte begann zunächst in der Filiale in Nakano und wurde dann in Shibuya, Ikebukuro und schließlich Akihabara, dem Paradies der japanischen Otaku-Kultur, eingesetzt. Vertraglich vereinbart war eine Arbeitszeit von 9 Stunden inklusive einer Mittagspause von 60 Minuten, die von 12 Uhr bis 21 Uhr ging. Tatsächlich mußte sie regelmäßig schon kurz nach 11 Uhr beginnen, um Vorbereitungen für die Ladenöffnung zu treffen und an einer Dienstbesprechung teilzunehmen. Die Läden schließen um 20 Uhr, danach begann das Aufräumen. Um 20:30 gab es eine Gruppenbesprechung, um 20:45 eine Dienstbesprechung, und danach ging es außerhalb der Arbeitszeit mit dem Aufräumen weiter. Jeden Sonntag um 22 Uhr gab es ein zusätzliches Treffen für neue Angestellte. Mehrmals im Monat wurde sie aufgefordert, an der Sichtung von tagsüber von den Kunden angekauften Waren teilzunehmen — nachts. Zweimal im Jahr gab es Inventur, die auch jeweils über die Arbeitszeit hinaus bis tief in die Nacht andauerte.
Natürlich war dies alles unbezahlte Mehrarbeit, die nicht auf der Stechuhr vermerkt wurde. Mitarbeiter, die solche „freiwilligen“ Überstunden leisteten, wurden deshalb als „Gespenster“ bezeichnet. Schlafmangel war die logische Folge.
2013 kündigte die Angestellte und verklagte das Unternehmen auf Zahlung von umgerechnet 18.000 Euro Lohnnachzahlung und Bußgeld in fast derselben Höhe. Das Gericht entsprach ihrer Forderung mit geringen Abstrichen.
Das Urteil wird sicher Folgen für das Unternehmen haben; eine zweite Klage mit ähnlichen Nachforderungen ist bereits eingereicht worden.
Sasaki betont, daß es Mandarake an sich gut genug geht, um solche Forderungen zu bedienen. „Ein großer Teil seines Gewinns wird jedoch mit der unbezahlten Arbeit von Angestellten erwirtschaftet, die die Otaku-Kultur lieben, derer sich Japan rühmt. Mag sein, daß manche unter den hier Angestellten meinen, sie bräuchten keine Überstundenentlohnung, weil sie an etwas teilhaben dürfen, was sie lieben. Doch es gibt auch andere.“