In den drei Tagen, an denen ich jetzt wieder in Japan bin, sind Dinge passiert, die ich hier vorher noch nie erlebt habe. Kleine Dinge des Alltags, die symptomatisch erscheinen für eine Nachdenklichkeit und Verunsicherung nach dem 11. März.
Heute war ich in einem Antiquariat nahe der Tokyo-Universität. Ich gehe dort regelmäßig hin, wenn ich etwas an der Todai zu tun habe; also vielleicht zweimal im Jahr. Aber das schon seit Jahren. Irgendeine interessante Kleinigkeit finde ich dort jedesmal. Morgens, bevor ich loszog, glaubte ich dem Wetterbericht, der keinen Regen voraussagte, und ließ den Regenschirm zuhause. Als ich im Antiquariat stöberte, brach heftiger Regen los. Die Besitzerin merkte dies, öffnete die Tür und sah hinaus und sagte zu mir: „Das ist ja verrücktes Wetter.“ „Ja“, bestätigte ich, „wirklich merkwürdig.“ Sie fuhr fort: „Genauso verrückt wie die Wirtschaft und die Politik.“ — Sie schenkte mir dann noch einen Regenschirm und erzählte von ihrer Tochter, die in den USA studierte, aber das wirklich Merkwürdige war: Ich bin zuvor noch NIE von einem Japaner auf die japanische Politik angesprochen worden! Noch dazu von jemand, den ich nur vom Sehen kenne.
Gestern war ich an der Waseda-Universität und besuchte den Unterricht eines Kollegen. Als die Stunde vorbei war, unterhielten wir uns noch im Stehen. Plötzlich merkte er auf, schaute sich um und sagte zu mir: „War das gerade ein Erdbeben?“ Ich hatte nichts bemerkt und nehme an, daß er sich getäuscht hatte. Aber auch das ist mir noch NIE vorher passiert: daß mich ein Japaner auf ein Erdbeben anspricht!
Dies sind kleine Indizien dafür, daß sich unter dem Eindruck der Ereignisse etwas im Kommunikationsverhalten der Japaner geändert haben könnte. Ob das verallgemeinerbar ist, ob es sich beschränkt auf (hoffentlich) vertrauenswürdig wirkende Ausländer (was ich nicht glaube) — ich weiß es (noch) nicht. Aber etwas ist anders. Und das ist gar nicht so schlecht. Es wäre den Japanern zu wünschen, daß sie endlich die Worte finden, um miteinander und mit anderen über die Dinge zu sprechen, die sie bewegen und bekümmern.