Natürlich rothaarig, sportlich und gutaussehend: das ist Arietti, die Heldin des neuen Films aus dem Studio Ghibli, der am 17. Juli in den japanischen Kinos angelaufen ist. Heute habe ich ihn mir im Cinemacity in Tachikawa angesehen. Das Kino war gut gefüllt, wenngleich sich der Andrang in Grenzen hielt; vermutlich, weil der Regisseur eben nicht Miyazaki Hayao hieß, sondern Yonebayashi Hiromasa — der jüngste Regisseur eines Ghibli-Films überhaupt. Allerdings hat Miyazaki die Produktion überwacht. Am ersten Kinotag hatte er „nur“ 680.000 Zuschauer, das waren rund 83 % der Ersttagsbesucher von „Ponyo“ 2008. Die Millionengrenze erreichte der Film nach drei Tagen.
Yonebayashi hat seine Sache gut gemacht. Die Bilder sInd schön, die Handlung hat viele spannende Momente, der Film ist nach dem Urteil meines 16-jährigen Sohnes nicht nur für Kinder wie (seiner Meinung nach) „Ponyo“. Allerdings wird der Experte viele Elemente wiederfinden, die er aus anderen Ghibli-Filmen so ähnlich schon kennt — so daß der ganz große Überraschungseffekt ausbleibt. Der junge Shō, mit dem sich die fast 14-jährige Arietti anfreundet, sieht aus wie Seiji in „Mimi wo sumaseba“ (er soll aber sein Vorbild in seinem Synchronsprecher Kamiki Ryūnosuke haben, der als Kind selbst schwerkrank war und übrigens die Stimme von Markuru in „Hauru no ugoku Shiro“ übernahm), Katze und Krähe könnten auch aus „Neko no ongaeshi“ stammen — und manchmal erinnert Ariettis Umgang mit der Katze an Meis Begegnung mit dem Katzenbus aus „Totoro“.
Es ist wIeder ein Film über die Familie geworden, auf beiden Seiten: Ariettis Familie, die zu der vom Aussterben bedrohten Gattung der Zwerge gehört, kämpft seit Generationen um ihr Überleben. Shōs Familie hingegen ist, ganz modern, zerfallen. Seine Eltern sind geschieden, seine Mutter schickt ihn, der seit Geburt an einem Herzfehler leidet, kurz vor einer lebenswichtigen Operation allein zu seiner Großtante. So lebt der „normale“ Mensch in Wohlstand und Überfluß (seine Großtante fährt einen Mercedes), hat aber Angst vor dem Tod und ist einsam. Die Zwergenfamilie dagegen hält unverbrüchlich zusammen, auch wenn sie ständig in Angst vor Entdeckung und gewaltsamem Tod durch Menschen oder Tiere steht. Im Film wie in der Romanvorlage von Mary Norton von 1952 verlieren die tapferen Zwerge ihr Heim.
Arietti aber schließt Freundschaft mit Shō, dessen Herz zwar krank, aber dennoch gut ist. Als sie sich trennen müssen, tröstet Shō sich und sie damit, daß sie nun für immer ein Teil seines Herzens sein werde. Nun will auch er um sein Leben kämpfen.
Nicht immer folgt der Film der Vorlage. Die Handlung ist im Japan der Gegenwart angesiedelt (genauer gesagt: in Koganei, wo sich das Studio Ghibli befindet), nicht in England. Und Shō liest im Bett ein Buch, das zeigt, welche andere große Vorlage in diesen poetischen, anrührenden Film verwoben ist: Frances Hodgson Burnetts „Der geheime Garten“ von 1909. Arietti liebt Blumen, ganz ähnlich wie Nausicaa, und sie gibt ihrem Freund neuen Lebensmut. Der Vater aber, der bei Burnett am Ende zu seinem Sohn zurückfindet: er wird nie kommen. Die Familie, die in Freud und Leid zusammenhält, gibt es nur noch in der geheimen Welt der Zwerge. Wer ihrem Geheimnis nicht begegnet, wird krank am Herzen bleiben.