Nun jährt sich bald der Untergang der DDR zum 20. Mal. An den großartigen und bewegenden Ereignissen von damals habe ich, wie ich gestehen muß, nur aus weiter Ferne Anteil nehmen können. Ich war im Sommer 1989 zur Forschung an meiner Doktorarbeit für ein Jahr nach Japan gefahren. Und so verpaßte ich das Beste aus der jüngsten deutschen Geschichte.
Damals gab es kein Internet, aus dem man sich hätte informieren können. Ich ließ mir von meinen Eltern wenigstens die Schlagzeilen der FAZ im Wochenrhythmus per Luftpost nach Yamanashi schicken — deutsche Zeitungen kamen erst mit drei, vier Tagen Verzögerung in den Bibliotheken in Tokyo an, aber jenseits der Metropolen war man von aktuellen Informationen über die Vorgänge in Europa nahezu abgeschnitten. Die japanischen Medien berichteten zunächst sehr spärlich.
Bis auf den einen Abend, den ich nie vergessen werde. Mit einem Cousin meiner Frau sah ich mir auf einem Privatfernsehsender einen James-Bond-Film an. Mit einem Mal wurde eine Laufschrift eingeblendet, so, wie es bei Erdbeben oder Taifunen üblich ist. Ich las: „Honecker abgesetzt.“ — Ich las und stutzte und begriff erst nach intensivem Nachdenken, was dies bedeutete. Es war der 17. Oktober 1989. Bis zum Ende der DDR, so, wie ich sie als Westdeutscher kannte, dauerte es nicht einmal mehr einen Monat.
Ich wurde in den nächsten Wochen von einem lokalen Kulturausschuß eingeladen, über meine Forschungen zu berichten. Es ging um Lokalgeschichte, daran war das Interesse der Menschen dort naturgemäß größer als an der deutschen Frage. Als ich dem Ausschußvorsitzenden vorschlug, statt dessen über die jüngsten Vorgänge in Deutschland zu berichten, lehnte er freundlich ab. Also bereitete ich mich auf einen Vortrag über die Takeda in Kai no kuni vor. Ich ging wohlpräpariert zum Vortrag. Bei der Begrüßung erklärte der Ausschußvorsitzende genauso freundlich, man denke nun doch, die deutsche Frage sei wichtiger als die Takeda. Ich möge daher bitte über Deutschland berichten. Das traf mich völlig unvorbereitet. Ich mußte aus dem Stegreif referieren — und habe es nie intensiver als damals bereut, wie wenig ich eigentlich über die Hintergründe der deutschen Teilung wußte. Und wie wenig ich dazu in der Lage war, dies angemessen auf japanisch zu erklären. Gestammelt aber, davon bin ich überzeugt, haben damals vor Verlegenheit und Staunen noch viele andere. Auch auf deutsch.